Ist das Kunst oder doch nur Handwerk? Wie Kinderlieder die Öffentlichkeit erobern
– Ein Gespräch mit Astrid Hauke, Gerd Grashaußer und Matthias Meyer-Göllner –
Im zweiten Teil ihres Gespräches während der „Tage des Kinderliedes 2016“ in Kiel und Umgebung, nähern sich Astrid Hauke, Gerd Grashaußer und Matthias Meyer-Göllner einer Lösung der Frage, wie das Kinderlied in seiner Wertschätzung und gesellschaftlichen Stellung vorangebracht werden kann. Es ist ein kleiner Schritt, aber einer, der für jeden gangbar ist: Schulkonzerte.
Matthias: Wir versuchen ja, das Kinderlied in seiner Wertschätzung und seiner kulturellen, gesellschaftlichen Stellung voranzubringen. Wenn es da an andere Stelle ein Medienecho gibt, können wir das umsetzen?
„Wir sind ein großes Team und haben eine Stimme in der Gesellschaft“
Astrid: Ich glaube, dass wir mit vielen (allein schon bei kindermusik.de sind wir 46 Musikerinnen und Musiker), Dinge umsetzen können, die ein einzelner gar nicht schaffen kann. Wir sind ein großes Team und haben damit auch eine Stimme in der Gesellschaft. Davon bin ich überzeugt. Die Frage ist nur, ob dieses 46 das überhaupt wollen. Wir haben im Moment ganz unterschiedliche Zielsetzungen.
Einige wollen ihre persönlichen Ziele mit ihrem eigenen Projekt erreichen, während andere finden, das Kinderlied darf und soll mehr Aufmerksamkeit und mehr Wertschätzung erfahren. Andere sagen wiederum, es ist geil, Kollegen zu kennen und dass es einen gibt, der mir erklären kann, wie das mit der GEMA funktioniert. Wenn wir es wollten, wären wir sicher in der Lage, ein gemeinsames Marketing nach vorn zu bringen.
Das wäre dann ein Stein, den du ins Wasser wirfst, der Wellen schlägt und einen ganzen See bis in seine Tiefen in Bewegung bringt. Du brauchst nur die Energie, einen Stein zu finden, aufzuheben und ins Wasser zu schmeißen.
Matthias: Und die richtige Stelle.
Astrid: Und die richtige Stelle!
„Wir sind so unterschiedlich, wir würden uns zerfleddern“
Matthias: (zu Geraldino) Du schüttelst den Kopf …
Geraldino: Ich glaube, dass unser Verbund überbewertet wird. Jeder arbeitet so ein bisschen vor sich hin. Unser Austausch einmal im Jahr ist ganz nett und unsere gemeinsamen Projekte sind ganz nett. Aber ich glaube nicht, dass wir da große Wellen schlagen.
Astrid: Ich glaube auch nicht, dass wir das tun. Aber ich glaube, dass wir es könnten.
Geraldino: Das glaube ich auch nicht. Wir sind so unterschiedlich, dass wir uns da zerfleddern würden. Es gibt Leute, die sind eher im pädagogischen Kinderlied zu Hause, es gibt andere, die sind mehr auf großen Bühnen zu Hause. Es gibt Kollegen, die haben ihre Stärken, wenn sie in kleinen Gruppen spielen, wieder andere haben ihre Vorzüge, wenn sie Fortbildungen machen und das Lied weitertragen an Multiplikatoren.
Dass wir eine ähnliche Medienpräsenz bekommen könnten wie zum Beispiel „Deine Freunde“ glaube ich nicht. Dazu sind viele von uns auch schon zu alt. Das ist eine junge Band mit jungen Musikern und das Musikbusiness ist eben kurzlebig. Da brauchst du junge, frische Gesichter. Die werden 2-3 Jahre gehypet und wenn sie bis dahin keine Millionen verkauft haben, werden sie wieder fallen gelassen.
„Es gibt dieses Bedürfnis nach Kinderliedern in unserer Gesellschaft“
Astrid: Ich glaube, wenn 46 Leute diesen Wunsch, dieses Ziel hätten, dann würde das funktionieren.
Matthias: Aber es gibt ja auch über kindermusik.de hinaus eine große Kinderliedermacher-Szene. Immer noch begegnen mir neue Leute, die Kinderlieder schreiben, immer wieder gibt es neue Kindermusik-Bands. Wie hieß noch die Kinderlieder-Punkband aus Köln?
Astrid: Bommel und Bömmelchen.
Matthias: Es gibt dieses Bedürfnis nach Kinderliedern in unserer Gesellschaft. Wir machen das. Es ist unser Beruf. Also stellen wir uns auch allgemeine Fragen. Diese große Gruppe der Menschen, die Interesse daran haben, Kinderlieder zu machen, meine ich. Im Unterschied zu denjenigen, die Kinderlieder benutzen (z.B. Pädagogen, Musikerzieher, Familien).
Die Gruppe derer, die Kinderlieder schreiben, ist sehr heterogen: Das reicht von jemandem, der sagt: „Ich schreibe mal ein Kinderlied!“ bis zu demjenigen, der es zu seinem beruflichen Inhalt macht. Diese Szene profitiert davon, dass es „Deine Freunde“ gibt, weil sie Erfolge haben und das Kinderlied wieder in aller Munde bringen. Aber wie setzen wir als Szene das um?
Astrid: Sagen wir es mal so: Vielleicht lesen viele, was wir in diesem Gespräch sagen. Und wir können alle Kollegen, die das lesen, dazu aufrufen, irgendwo ein Like zu hinterlassen oder einen Kommentar abzugeben: Ob sie daran interessiert wären, eine Community zu gründen, die die mediale Aufmerksamkeit von Kinderliedern in der Öffentlichkeit erhöhen möchte.
„Dagegen ist die EU die reinste Betgruppe“
Matthias: Bei unsere Festivals spüren wir ja schon eine Power, die entstehen kann, wenn mehrere von uns kleinen Würstchen zusammenwirken. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass Astrid recht hat: Wenn wir wollten, dann könnten wir schon.
Es ist zwar eine grauenhafte Vorstellung, wenn man an den Weg dorthin denkt. Da wäre höchste Kunst der Diplomatie erforderlich. Gerd, Du hast ja schon einige Erfahrungen mit gemeinsamen Projekten (Liederbücher, CD-Sampler) gesammelt. Dagegen ist die EU die reinste Betgruppe.
Astrid: Es ist ja schon toll, dass immer wieder Kollegen wie du, Matthias, Leute zusammenbringen, wie jetzt hier zum Tag des Kinderliedes. Überall da, wo Festivals stattfinden, entsteht ja so etwas wie eine Community, entsteht Energie.
Matthias: Aber es stößt immer irgendwann an eine Decke. Nimm zum Beispiel den Geraldino-Liederwettbewerb, der in diesem Jahr zum 18. Mal stattfindet. Der Bekanntheitsgrad ist gewachsen, der Wettbewerb ist einzigartig im deutschsprachigen Raum und hat an Bedeutung für die Szene gewonnen. Trotzdem scheint das öffentliche Echo begrenzt.
„Es ist schwer, überregional Bekanntheit zu erlangen“
Geraldino: Das Problem ist, dass wir das in Nürnberg gemacht haben. Wir haben mit dem bayerischen Rundfunk einen absoluten „Franken-links-liegen-lasser“. (Lacht) Wir kriegen keinerlei Unterstützung vom bayerischen Rundfunk. Kein Radiosender kommt, kein Fernsehsender, um darüber zu berichten.
Matthias: Woran liegt das bloß? Ein anderes Thema ist der Leopold. Das ist der Medienpreis in der Kinderliedszene – hier mehr vom WDR geprägt. Alle schicken ihre schönsten Produktionen dorthin. Aber ein wirkliches Echo gibt es doch nicht.
Geraldino: Wir sollten aber nicht zu stark jammern. Ich kenne Jazzmusiker, die einen Jazzaward bekommen haben oder Filmemacher, die auf der Berlinale ihre Filme zeigen, und noch keinen einzigen Euro verdient haben. Es ist in anderen Sparten ähnlich. Es ist schwer, überregionale Bekanntheit zu erlangen.
„Der Erfolg hängt nicht nur von einem Preis ab“
Matthias: Schwer oder unmöglich? Ich will wirklich nicht jammern. Mich interessiert: Woran liegt das? Und können wir da etwas tun? Wir sind vielleicht schon zu alt, um noch Medienstars zu werden …
Astrid: … das muss ja auch nicht sein!
Matthias: Neulich sagte ein Mädchen nach dem Konzert zu mir: „Erst dachte ich ja, du bist ein Opa, aber dann war es ja richtig gut!“
Geraldino: So was hatte ich auch mal. Eine junge Frau sprach mich nach dem Konzert an: „Was, du lebst immer noch? Ich hab dich doch schon als Kind gesehen!“ (Alle lachen)
Astrid: Ich habe gar nicht so große Ambitionen zu diesen Preisen. Ich habe in diesem Jahr zum ersten Mal so eine Auszeichnung bekommen und empfinde es als Wertschätzung. Aber es ist nicht notwendig für mich, um weiter Kinderlieder zu schreiben.
Preise sind zwar schön und es ist toll, auf Geraldinos Sampler zu sein. Aber der Erfolg hängt nicht nur von einem Preis ab, sondern eher davon, was wir als Erfolg sehen.
Wenn ich aus einem Konzert wie heute (in der Grundschule am Göteborgring in Kiel, Anm. d. Red.) rausgehe, das ihr toll organisiert habt, mit einem Publikum, mit dem ich auf einer Welle geschwommen bin, dann ist es das Schönste der Welt.
„Kinder sind kein Publikum, mit dem so viele Umsätze gemacht werden können“
Matthias: Na klar. Ich bin ja auch glücklich mit dem, was ich tue. Trotzdem: Einen Wettbewerb macht man ja nicht nur, um dem einzelnen Künstler etwas Gutes zu tun, sondern auch, um das ganze Ding voranzubringen. Das Kinderlied.
Und wenn man die Entwicklung der letzten 18 Jahre beim Geraldino-Festival sieht, dann hat sich die Qualität doch deutlich verbessert. Lieder und Aufnahmequalität haben sich doch im Laufe der Jahre stark gesteigert! Sowas bewirkt auch ein Wettbewerb.
Astrid: Ich komme nochmal zurück auf die geringe Wertschätzung, die Kindermusik in der Öffentlichkeit hat. Ich glaube, es liegt an der Zielgruppe. Die Musikbranche ist genauso kommerziell angelegt, wie alle anderen Dinge auch.
Kinder sind kein Publikum, mit dem so viele Umsätze gemacht werden können wie zum Beispiel bei Menschen über 50, die sich ihren Musikgeschmack leisten können. Deshalb sind wir keine Leute, die Millionen in eine Vorabendwerbung im ZDF donnern würden.
„In Deutschland schätzt die Gesellschaft Kinderkultur nicht so stark“
Geraldino: Ich glaube, es liegt noch an etwas Anderem. In Deutschland schätzt die Gesellschaft Kinderkultur nicht so stark. In Schweden, in der Schweiz, auch in Holland hat Kinderkultur einen ganz anderen Stellenwert. Da gibt man als Haushalt mehr Geld aus für Kinderkultur. In Deutschland gibt es diese Tradition nicht. Deshalb fließt nicht viel Geld in diesem Bereich.
Die Kommunen haben immer weniger Geld zur Verfügung. Deshalb wird an Kulturveranstaltungen gespart. Wenn sich die nicht selber tragen, macht man eben Billigversionen. Ich habe in den 80er-, 90er-Jahren viel mehr mit meinen Bands gespielt als heute. Da war in den Kommunen mehr Geld da. Der Mauerfall war nach meinem Gefühl ein großer Einschnitt.
Dann kommen die Ganztagsschulen hinzu, durch die auch die Nachmittagsveranstaltungen für Kinder wegfallen. Das ist für Kindermusik besonders schwierig. Kindertheater haben sich vom Tourneetheater größtenteils verabschiedet und machen hauptsächlich Programm in ihren eigenen subventionierten Häusern. Da spielen sie am Wochenende und machen in der Woche Theaterprojekte in Schulen, die meisten, die ich kenne.
Wir Kindermusiker sind darauf angewiesen, dass wir engagiert werden. Am Wochenende funktioniert das, aber in der Woche? Werdet ihr noch in der Woche engagiert? Von Kulturämtern und so?
Astrid: Von Kulturämtern werde ich sowieso selten engagiert. Das wird sowieso weniger.
„Man findet es nicht wichtig in Deutschland, dass Kinder in Konzerte gehen“
Matthias: Die zurückgehenden öffentlichen Gelder sind ja nur die eine Seite, die du angesprochen hast. Die andere interessante Frage hast du zuerst gestellt: Wieviel Geld gibt eine Familie für Kinderkultur aus? Und woran liegt es, dass Familien in der Schweiz, in Schweden oder Holland mehr Geld für Kinderkultur ausgeben und wie können wir das in Deutschland ändern?
Geraldino: Das hat etwas mit dem Bildungsniveau zu tun. Man findet es nicht wichtig in Deutschland, das die Kinder in Konzerte gehen. In anderen Ländern findet man das wichtig, weil Kultur etwas Elementares ist.
Astrid: Die Hirnforschung belegt ja: Es ist dem Lernen sehr zuträglich, regelmäßig zu singen. Warum streut der Bund nicht noch mehr in Bildung und musische Bildung, damit das Lernen noch mehr Spaß macht. Jede Fortbildung mit Lehrern und Erziehern spiegelt mir hinterher zurück: Ich wusste gar nicht, dass man so gehirnfreundlich unterrichten kann.
Es wäre doch sehr viel einfacher, wenn wir einfaches Handwerkszeug an die Multiplikatoren weitergeben könnten, die das Bildungsniveau steigen lassen, das Lernen leichter machen und auch noch mehr Spaß bringen. Wäre doch ein Supernutzen!
„Schulkonzerte treiben die Sache des Kinderliedes weiter voran“
Matthias: Die Schulkonzerte, die wir jetzt hier beim Tag des Kinderliedes machen, gehen in diese Richtung. Das ist zwar nichts wirklich Neues – für Schleswig-Holstein aber doch. Unser Freund und Kollege Helmut Meier war völlig entgeistert, als er von NRW nach Schleswig-Holstein kam und hier keine Schulkonzerte zu Stande brachte.
Ich finde die ganz gut, denn man spielt unter der Woche und macht kulturelle Bildung an der Basis. Du spielst dort vor 200 Kindern und da sind höchstens 10 Prozent, die auch mal selbst oder mit ihren Eltern ins Konzert gehen würden. So kommen wir in Kontakt mit der Basis und reichen unseren „Kunden“ die Hand.
Und diese Konzerte sind oft richtig schön, weil die Kinder konzentriert und begeistert sind und toll mitgehen. Das ist ganz anders, als wenn du irgendwo auf dem Stadtfest zwischen Bratwurstbuden spielst. Die Schulkonzerte sind zwar nur ein kleiner Schritt, aber sie treiben die Sache des Kinderliedes weiter voran.
Geraldino: Das ist richtig. Wir haben ja auch eine irre Konkurrenz durch die Medienvielfalt, die immer größer wird. Früher hatten die Kinder nicht so ein großes kulturelles Angebot. Da gab es Fernsehen, das Weihnachtsmärchen im Schauspielhaus und ein paar freie Theatergruppen.
Astrid: … und einmal im Jahr einen Zirkus.
„Die Vorteile des Livespielens Pädagogen an die Hand geben“
Geraldino: Und wenn du überlegst, was Kinder heute so angeboten kriegen – allein mit Tablet oder Spielkonsole – das ist der Hammer. Darunter leiden ja auch Sportvereine und alle möglichen anderen Institutionen.
Matthias: Ich glaube, dass das für uns eher eine Chance ist. Kinder finden es toll und faszinierend, wenn da plötzlich jemand steht, der echt ist: Der singt selber, spielt Gitarre, den kann man vielleicht anfassen …
Geraldino: Nein, das kann ich nicht so leiden! (Alle lachen) Wir müssten diese Vorteile, die das Livespielen bietet, mal formulieren und als Anreiz Pädagogen in die Hand geben. Das man sagt: Wir spielen Konzerte und die haben folgende Vorteile: Die Kinder bekommen Lust auf Musik. Wir singen zusammen. Es ist ohne Leistungsgedanken. Es ist etwas Verbindendes, Soziales. Das sollten wir mal formulieren und da ein Schriftstück draus machen.
Matthias: Da möchte ich ganz unbescheiden auf „12 gute Gründe“ für Schulkonzerte hinweisen. Die haben wir im Mai 2015 in dem Artikel „Lustvoll und ohne Leistungsdruck“ veröffentlicht. Mit Helmut Meier zusammen habe ich diese Liste mal entwickelt. Hier beim Tag des Kinderliedes merke ich wieder, wie gut diese Schulkonzerte tatsächlich sind.
„Schulkonzerte bekommt jeder hin“
Astrid: Es gibt so viel gute Kinderliedermacher, so viele spannende Themen in den Schulen. Wenn die Schulen diese Themen raushauen würden und gucken, was an Rückmeldung von den Musikern kommt, könnten die sich themenorientiert so schöne Konzerte einkaufen.
Matthias: Das wäre doch ein wichtiger Appell, auch an die Kolleginnen und Kollegen: Macht Schulkonzerte. Macht Schulkonzertwochen! So schwer ist das nicht. Das ist einfacher, als wenn du öffentliche Konzerte – womöglich noch mit Gala – organisieren musst. Schulkonzerte bekommt jeder hin. Jeder hat vor Ort ein paar Schulen und könnte das so machen wie wir hier. Wenn das jeder organisieren würde, würden wir nur noch spielen.
Geraldino: Das wäre ein gutes Konzept für die Zukunft.
Matthias: Ja, in Nürnberg gibt es auch viele Schulen, die da offen sind.
Astrid: In Bielefeld gibt es auch Schulen. (Alle lachen)
Links:
www.irmimitderpauke.de (Matthias Meyer-Göllner)
www.kindersause.de (Lieselotte Quetschkommode)
Eine sehr interessante und aufschlussreiche Unterhaltung.
Hallo! Die Kinderlieder-Punkband aus Köln, nach der Matthias gefragt hat, heißt „Bommel und die Bömmelchens“.
Viele Grüße 🙂
Bommel
Die Aussagen treffen generell auf Kinderkultur wie Bücher oder Puppentheater zu. Jetzt interessiert es mich schon, welche Medien meinen Sie genau? Warum nicht mal Aktionen mit den vielen Buch oder Mütterblogs anfangen?