2 mal 3 Fragen an … Thomas Sutter

THOMAS SUTTER begann als Kinderliedermacher in den 80er-Jahren mit Produktionen wie „Spielplatzblues“. 1985 gründete er in Berlin das erste (und immer noch größte) Kindermusiktheater in Deutschland: „Atze“. Heute macht er dort als Leiter des Hauses vom Song- und Stückeschreiben übers Theater spielen bis hin zur Kommunikation und Verwaltung alles. Sein aktuelles Stück „Matti und Sami und die drei größten Fehler des Universums“ nennt er selbst ein „Singspiel im Atzesinn“.

– Fragen von Matthias Meyer-Göllner –

Thomas Sauter

Kinderliedermacher und „Atze“-Gründer Thomas Sutter

Was macht aus deiner Sicht ein Lied zum Kinderlied?

Gegenfrage: Was macht ein Lied zu einem Lied? Oder noch anders gefragt: Gibt es einen Unterschied zwischen Liedern für Kinder und Liedern für Erwachsene? Ich behaupte: Nein, es gibt erst mal keinen Unterschied. Handwerklich unterliegen alle Lieder den gleichen Gesetzen: Sie müssen so geschrieben sein, dass sich der Hörer in den Liedern emotional und/oder intellektuell wiederfindet.

„Auch als Erwachsener erfreuen mich Kinderlieder“

Ein Lied ist ein Lied, wenn mir der Hörer zuhört. Wenn ich Worte und Sätze gefunden habe, die mein Gegenüber nachempfinden kann. Wenn sie in ihm Gedanken, Erinnerungen und Gefühle hervorrufen. Und dies gilt für alle Lieder. Und wenn ein Lied wirklich gelungen ist, dann hört mein Gegenüber auch zu. Und das unabhängig vom Alter. Es gibt doch immer wieder Lieder, die ich als Erwachsener singe, obwohl es Kinderlieder sind. Und die mich trotzdem erfreuen. Ebenso kenne ich es umgekehrt. Kinder singen sogenannte Erwachsenenlieder, obwohl sie vielleicht den Text noch nicht verstehen. Na und, sage ich dann. Wichtig ist doch nur eines: Sie müssen den Hörer erreichen.

 Welches Kinderlied gefällt dir besonders gut und warum?

Ohje, was für eine Frage. Es gibt so viele schöne Kinderlieder. Traditionelle oder neue. Manchmal geht mir die Melodie nicht aus dem Kopf und fasziniert mich, manchmal finde ich die Geschichte oder die Wortspiele gut. Ein Lied, das ich schon lange kenne, hatte ich vor einem Jahr wieder ausgegraben und mit Kindern gesungen. „Freiheit“ von Georg Danzer. Große und kleine Schulkinder haben es mit Begeisterung gesungen. Wenn ich mich entscheiden müsste, dann wäre das im Augenblick mein Lieblingskinderlied. Denn es vereint eine wunderbare kleine Geschichte mit einer schönen Melodie und beschreibt ein großes Thema der menschlichen Grundwerte: die Freiheit. Einfach fantastisch, was Danzer mit diesem Lied geschafft hat. Chapeau und Hut ab.

Warum bist du ein guter Kinderlied-Erfinder?

Ich weiß nicht, ob ich das bin. Das müssen andere entscheiden. Das würde ich von mir nie behaupten.

Bist du durch deine langjährige Theatertätigkeit dem Kinderlied „entwachsen“?

Nein. Ich glaube nicht. Ich schreibe jetzt nur anders, da ich mich im Augenblick fast ausschließlich mit Theater beschäftige. Und in diesem Zusammenhang Lieder schreibe. Insofern achte ich immer noch darauf, dass Kinder mit den Liedern in den Theaterstücken etwas anfangen können. Aber die Lieder stehen eben meist nicht mehr für sich selbst, sondern müssen immer in den Kontext einer Theatererzählung passen und den Fluss der Erzählung vorantreiben. Für mich ist das eine schöne und auch interessante Entwicklung, Musik, Lieder, Sprache und Schauspiel in einer gleichberechtigten Kunstform zu vereinen zu suchen.

Gab und gibt es einen politischen Anspruch an Kinderlieder?

Ja, unbedingt. Kinderlieder müssen über das Onkel-Pelle-Pille-Palle hinausgehen. Es geht nicht nur um Feiern und sinnfreie Wortspiele über Tiere und Tiere und noch mal Tiere. Und dann zur Abwechslung mal über Hexen und Hexen und Räuber. Das kann man machen, ist mir aber zu wenig und zu einseitig. Lieder für Kinder sollen und müssen den gesamten gesellschaftlichen Raum und die gesamte von Kindern erlebte Welt widerspiegeln. Und somit natürlich auch politische oder soziale Themen aufgreifen.

Welche Tabus – musikalische wie inhaltliche – gelten für dich beim Songschreiben?

Au man, das ist schwierig … Spontan würde ich sagen, es gibt kein Thema, das ich nicht Kindern in Form eines Liedes vorsingen kann – ich muss schwere, sogenannte Erwachsenenthemen in Worte packen, die ein Kind versteht. Beim zweiten Nachdenken stolpere ich dann aber schon. Soll man einem Kind ein Lied über jemanden vorsingen, der so mit dem Leben am Ende ist, dass er sich umbringt?? Soll man in einem Lied erzählen, wie ein Kind missbraucht wird? Soll man in einem Lied erzählen, wie Kinder Opfer von Krieg und Terror werden? Da zweifle ich. Totschweigen soll man diese Themen nicht. Sicher kommt esauf die Form, auf die Sprache, auf das WIE der Geschichte an.

„Kinder sind nicht moralisch oder moralisierend“

Klar ist aber auch, dass die moralische Bewertung einer Situation oder in diesem Fall eines Liedes immer von Erwachsenen vorgenommen wird. Kinder sind nicht moralisch oder moralisierend. Wir Erwachsenen fürchten immer, unsere Kinder mit Themen oder Situationen zu überfordern. Wir wollen sie schützen, verkennen aber, dass wir sie selbst ständig in diese Situationen bringen. Paradox, aber wahr. Ich glaube, Kinder sind stabiler als wir Erwachsenen es vermuten. Deshalb komme ich zum Ausgangspunkt zurück und sage: Es gibt keine Tabuthemen. Man muss aber darauf achten, dass man Tabuthemen so formuliert, dass Kinder sie verstehen können und dass sie keine Angst bekommen.

Musikalisch kann man Kindern alles vorspielen, da sie auch hier noch keine Schubladen kennen. Sie hören sich vorurteilsfrei alles an. Vom modernen Pling, Plong, Schepper, Knall, Zisch bis zum klassischen Orchester. Wenn es gut gemacht ist, hören Kinder zu und nehmen davon etwas mit.

Link:
www.atzeberlin.de

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1 Antwort

  1. 24. Juni 2016

    […] und Tiere und noch mal Tiere“, beklagte Thomas Sutter (Atze Musiktheater, Berlin) im Kinderlieder-Magazin, seien eigentlich zu wenig Inhalt für Kinderlieder. Diese müssten auch politische und soziale […]

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