Die poetische Seele – Von der Magie der Melodie (Kieler Kinderliederwoche – Tag 7)
– Ein Gespräch zwischen Robert Metcalf und Matthias Meyer-Göllner –
Zum Kinderliederkonzert auf der ABK-Bühne mit Robert Metcalf und Matthias Meyer Göllner strömen heute auch viele erwachsene Besucher. Viele haben speziell diesen Termin gewählt, weil sie die Lieder des „English-Man in Berlin“ seit vielen Jahren schätzen. Im Gespräch spricht er über die Idee, die poetische Seele und die Magie der Musik im Kinderlied.
Matthias: Robert, du hast mir mal die Geschichte vom „Ideas-Man“ erzählt. Was hat es damit auf sich?
Robert: Das bezieht sich auf meinen Vater. Er war ein Mensch, der viele Ideen hatte.
Matthias: In künstlerischer Hinsicht? War er Ingenieur oder Erfinder?
Robert: Ich weiß nicht, ob er einen Beruf hatte. Letztendlich war er Drucker. Er hatte eine Firma und technisch gesehen wenig Ahnung. Weder von mechanischen Sachen, noch von Möglichkeiten der Umsetzung von Ideen. Aber die Ideen hatte er. Er hat für Reinigungsfirmen gedruckt. Sein technisches Know-how war eher gering, aber er konnte zu 80 Prozent sagen, wie er etwas haben wollte, dann haben die anderen ihren Senf dazu gegeben.
Matthias: Und das hast du von ihm geerbt?
Robert: Ich glaube ja.
Matthias: Inwieweit trifft das auf die Kinderlieder zu? Du hast eine Idee, aber dann schreibst du die Lieder doch auch selbst?
Robert: Ich schreibe sie so, dass ich sie am Klavier oder auf der Gitarre spielen kann. So kann ich den Musikern sagen, was sie spielen sollen. Und die machen das dann hübsch.
Matthias: Auch kompositorisch?
Robert: Nein, vom Arrangement her. Ich arbeite unterschiedlich: Manchmal mit einem Arrangeur, der Ton für Ton die Arrangements notiert, manchmal mit der Band, dann machen wir es gemeinsam.
Matthias: Die auslösende Idee für deine Lieder ist nicht immer unbedingt eine inhaltliche, oder? Zu „Alarm, Alarm“ gab es bestimmt zunächst die Idee von einem Jungen, der im Zaun hängt, und von der Feuerwehr befreit werden soll. Also eine inhaltliche Idee. Aber es gibt ja auch andere Ideen. Zum Beispiel die von einem Gospel, der alle zum Mitsingen animiert. Das wäre dann eher eine musikalische Idee.
Robert: Zu „Alarm, Alarm“ war es zunächst eine musikalische Idee: Ich habe diese Feuerwehr-Quart gehört und sie mit „Alarm“ verbunden. Meistens habe ich am Anfang eine Hookline. Dann brauche ich aber die Leute, die es zum Klingen und zum Grooven bringen. Die kleine Raffinessen einbauen, auf die ich selber nicht kommen würde, oder die ich gar nicht spielen könnte.
Matthias: Also steht am Anfang eines Liedes immer eine Idee? Oder gibt es auch einen anderen Weg?
Robert: Dazu fällt mir folgendes Beispiel ein: Ich habe Lieder über Zahlen gemacht. Irgendwann dachte ich, es wäre witzig, das Lied über die Zahl 5 im 5/4-Takt zu machen. Das ist eigentlich mehr, als ich musikalisch kann. Aber die Idee war da, also habe ich es versucht. Die ursprüngliche Idee brachte mich dann auf die „Fünf Finger“. Da war keine Hookline Ausgangspunkt.
Matthias: Wie wichtig ist die Idee für ein Lied? Und wie wichtig ist es, dass der Hörer oder Nutzer diese Idee später erkennt?
Robert: Manchmal kann man es nicht erkennen. Wir singen hier auf dem Festival ein Lied namens „Open Air“. Das habe ich auf der Suche nach Ideen für Sommerlieder geschrieben. Der Ausdruck „Open Air“ gehört fast schon zur deutschen Sprache, für die Kinder allerdings nicht. Im Lied geht es eigentlich um das Thema: „Es ist schön, draußen zu sein!“
Mit Gebärden und Bewegungen habe ich es später „konzertfähig“ gemacht. Dadurch ist es für mich viel lebendiger für Konzertbesucher. Wenn die es nur auf der Platte hören, wissen sie es natürlich nicht. Ihnen gefällt vielleicht die Musik, aber die Bewegungen erschließen sich nicht automatisch.
Matthias: So eine Hookline ist immer eine Verbindung aus Sprache und Musik. Ist das bei dir immer eine deutsche Idee?
Robert: Nein, ich schreibe auch Lieder auf Englisch. Aber auch da ist immer die Hookline der Ausgangspunkt. Ich kann mich nicht an Lieder erinnern, bei denen ich mit einem Groove angefangen hätte. Auf der Sommer-CD wollte ich gerne einen Latin-Rhythmus machen mit einer ostinaten Basslinie. Das ist für mich ungewöhnlich. Ich hatte einen Klang im Kopf und da war plötzlich eine Linie für Trompete. Auch das ist für mich ungewöhnlich. Erst dann kam die Geschichte – es geht um den längsten Tag des Jahres.
„Wenn ich zwischen pädagogischem und musikalischem Anspruch entscheiden muss, entscheide ich mich immer für die Musik“
Matthias: Du gehst also sehr musikalisch da ran. Beim Liedermachen halten sich Sprache und Musik in etwa die Waage, was die Intention angeht. Deine Lieder zeichnen sich darum auch durch sprachliche Intelligenz und Genauigkeit aus. Welche Bedeutung hat Sprache in deinen Liedern und in Kinderliedern allgemein?
Robert: Finde ich sehr wichtig. Ich kann es zum Beispiel nicht leiden, wenn sprachliche und musikalische Betonung in einem Lied nicht übereinstimmen.
Matthias: … der Reinhard-Mey-Effekt …
Robert: …ja, mir passiert es zum Glück eher selten.
Matthias: Ich versuche auch, diese eher formal sprachlichen Gesichtspunkte beim Schreiben zu berücksichtigen. Die Betonungen an der richtigen Stelle, saubere Reime … Wie wichtig sind saubere Reime? Man sagt den Engländern ja nach, sie würden ziemlich großzügig reimen …
Robert: Manchmal gar nicht! Und ich erlaube mir diesen Status. Irgendjemand hat in den ersten Jahren, in denen ich deutschsprachige Lieder gespielt habe, zu mir gesagt: Du hast Ausländerrabatt. (beide lachen) Wenn mir etwas nicht so richtig gelingt, sage ich mir: Du kannst es machen, du hast diesen „Ausländerrabatt“.
Matthias: Mir geht es manchmal so, dass bei der Suche nach den besten formalen Lösungen in einem Text (Metrum, Reim, Betonungen) die poetische Seele verloren geht. Kennst du dieses Gefühl?
Robert: Ja, ich habe für mich eine Formel gefunden, die dieses Verhältnis regelt. Wenn ich zwischen pädagogischem und musikalischem Anspruch entscheiden muss, entscheide ich mich immer für die Musik.
Matthias: Und wenn du zwischen Sprache und Musik entscheiden musst?
Robert: Schwierig. Es kommt darauf an.
„Ich muss tendenziell lachen oder weinen, wenn ich dabei bin, ein Lied zu machen.“
Matthias: Wir selber haben da ja schon leidvolle Erfahrungen gemacht, als wir für unser gemeinsames „Maulwurf“-Projekt stundenlang nach Lösungen für bestimmte Textzeilen gesucht haben. Und dann merkten wir, nachdem wir etwas gefunden hatten: Es hat nicht diese Ausdruckskraft, die es vorher hatte, als der Reim oder das Versmaß nicht ganz stimmten.
Robert: Manchmal steckt in einem einzigen Wort so viel Magie, soviel Emotion, da ist es dann egal, ob es sich reimt.
Es ist fast immer wichtig, dass die poetische Seele im Vordergrund steht. Es gibt manchmal Lieder, die sind zum Mitmachen. Dann muss das stimmen, was man vorgibt für die Bewegungen. Aber wenn man ein Lied hört, wenn es eine Geschichte erzählt, dann muss das Magische, das Alberne, das Ungewöhnliche zu erleben sein.
Nimm zum Beispiel den „Pinguin“, den wir heute hier auf der Bühne spielen werden. Das basiert eigentlich auf dieser Sprachspielerei mit dem Pingu-uingu-uingu-uingu, die mir gefällt. Den Rest des Liedes habe ich sozusagen drum herum „gebastelt“. Ich muss tendenziell lachen oder tendenziell weinen, wenn ich dabei bin, ein Lied zu machen. Dann weiß ich, ob es emotional stimmt. Ob es ein Mitmachlied ist oder ein Fingerspiel: Es muss irgendetwas drin sein, dass mich nicht kalt lässt.
Matthias: Hast du das Gefühl, das du damit richtigliegst? Wenn du das Gefühl hast, du wirst emotional angesprochen, klappt das dann auch bei den Kindern?
Robert: Ich glaube oft. Wenigstens, wenn ich es live aufführe.
„Manchmal kann ein Wort seine Magie erst im Zusammenhang mit Melodie und Groove entfalten“
Matthias: Haben deine Lieder etwas, das Erwachsene und Kinder verbindet?
Robert: Ich glaube ja. Ich bekomme entsprechendes Feedback von Erwachsenen. Die erzählen mir, sie mussten im Urlaub meine CD viermal hintereinander spielen …
Matthias: … das hört sich ja mehr nach Quälerei an …
Robert: Nein, nein, sie sagen schon: „Wir als Eltern können das gern mehrmals hören.“ Es ist als Kompliment gemeint.
Matthias: Ich glaube, dass Kinderlieder und speziell deine Lieder diese Wirkung haben können. Dass sie eine Brücke schlagen zwischen Kindern und Erwachsenen.
Robert: Was dabei auch wichtig ist: Es ist ja eine Melodie oder ein Groove, die ansprechend sein können. Da kann manchmal ein Wort seine Magie erst im Zusammenhang mit Melodie und Groove entfalten. Mir fällt das Lied „I mog an Regenbogen“ von Mai Cocopelli ein. Natürlich hat das Wort „Regenbogen“ schon eine gewisse Magie für Kinder, aber in Verbindung mit der Melodielinie, die sie singt, wird es noch schöner und spricht eben auch die Erwachsenen an. Ich bin kein Freund davon, Liedtexte zu lesen. Denn ohne die Musik können sie ihre Wirkung nicht entfalten. Das gehört immer zusammen.
Wir trotzen dem Brexit! Robert bleibt Robert Metcalf! Glück gehabt! 😉