Das Sting-Erlebnis: Warum wir unsere Songs lieben (2)
– Ein Text von Matthias Meyer-Göllner –
Im ersten Teil unserer Lieblingslieder-Spezial-Ausgabe haben uns schon viele Kolleginnen und Kollegen verraten, welchen ihrer Songs sie am liebsten haben und warum. Hier kommt nun der zweite und letzte Teil der Selbstlieblingslieder der Kinderliedermacher.
Geraldino aus Nürnberg hätte mir am liebsten gleich eine Liste mit seinen zehn Selbstlieblingsliedern geschickt, konnte sich dann aber doch für eines entscheiden: „In die Schule mit dem Bus“ ist ein ziemlich neues Lied aus seinem Schaffensfeld und er liebt es aus folgenden Gründen: „Es gibt eine hübsche Mitmachaktion zu dem Lied, die den Kids viel Spaß macht, es ist live ein tolles Lied, es ist ganz neu und wir arbeiten gerade noch daran, es ist musikalisch sehr fett, mit Bläsern, live eingespielt mit ein paar netten Jungs, dazu kommt noch ein geiles Gitarrensolo von Stamo.“
Während hier also der musikalische Aspekt im Vordergrund steht, stellt für manchen Künstler und vor allem für manche Künstlerin die Aussage ein wichtiges Kriterium für die Selbstliebe dar. Donikkl aus Kehlheim beschreibt deshalb seinen Lieblingssong so: „Mein meiner Meinung nach wichtigstes Lied ist „Mach die Welt bunter“ vom gleichnamigen Album. Ein super positiver Gute-Laune-Song mit einer Menge Botschaft. Das Lied ordert mehr Respekt, Toleranz und Offenheit.“
Von der gesellschaftlichen Dimension eines Songs
Ganz ähnlich geht es Larissa aus Buchholz. Sie hält ihr Stück „Bunt ist cool“ zwar nicht für die Krone der Schöpfung, ansonsten aber für sehr gelungen. Auch hier spielen die vielen positiven Reaktionen, die sie dazu erhalten hat, eine wichtige Rolle, darüber hinaus ist es aber ein „modern klingendes Lied zu einem besonders wichtigen Thema (und besonders aktuell), welches uns alle betrifft.“ Es geht dabei nur vordergründig um Farben: „Bunt steht als Symbol des Zusammenlebens von Menschen verschiedener Herkunft, unterschiedlicher Kulturen, sozialer Schichten … Bunt akzeptiert und vereint alle Farben gleichermaßen und genau das macht sie zur schönsten und stärksten Farbe der Welt!“
Idealerweise verbindet sich also Künstlerisches mit im weitesten Sinne Politischem. So hat Lieselotte Quetschkommode alias Astrid Hauke ihr Herz an das Gesamtprojekt „Wasser Marsch“ gehängt: „‚Wasser Marsch‘ ist mein schönster Song, weil er für einen guten Zweck geschrieben wurde.“ In Zusammenarbeit mit „Broadwood“, einer Bielefelder Kinder-Herzenswünsche-Initiative, hat sie den Song geschrieben. „Für mich ist es eine Hommage an das Wasser und das Leben überhaupt. Jeden Tag, den wir gesund sind und sauberes Trinkwasser haben, ist ein Geschenk. Das Gefühl, im Fluss zu sein, ist die größte Lebensfreude überhaupt. Also, mittendrin statt nur dabei.“
„Ein Lied für die ganze Familie“
Jetzt könnte man den Eindruck gewinnen, das die Frauen der Kinderlieder-Szene für das Politische zuständig sind: Suli, Larissa, Astrid schätzen die gesellschaftliche Dimension ihrer Songs.
Gegen diese These spricht allerdings der Lieblings-Song von Mai Cocopelli aus Oberösterreich „Komm, wir backen heute Kekse“:
„Ich mag an dem Song, dass er eine Situation einfängt, die genau so bei uns zuhause ablaufen könnte. Es ist ein herzliches Duo, das meine Liebe zu meiner Tochter widerspiegelt. Musikalisch gefällt mir, dass es eher unaufdringlich ist, doch genau deshalb findet es seinen Platz in den Ohren und Herzen der Menschen. Es hat eine hübsche Hookline, die man gerne trällert, ohne nach dem dreißigsten Mal davon genervt zu sein und es regt die Kinder zum Singen, gemeinsamen Backen und Spielen an. Es ist ein Lied für die ganze Familie!“
Auch Elke Kamper vom LiLaLindwurm aus Mönchengladbach liebt einen eher persönlichen, intimen Song von sich am meisten. „Vergiss mich nicht so ganz“ heißt das Lied, das für den Nürnberger Kinderlieder-Wettbewerb zum Thema „Omas und Opas“ entstanden ist. „Es greift das Thema Demenz auf – noch geschrieben bevor Till Schweigers toller Demenzfilm („Honig im Kopf“) rauskam. Es zeigt die stille Seite der mitfühlenden und mitleidenden Enkel, wenn die Oma sie langsam vergisst. Im Vordergrund stehen ja zumeist die pflegenden und direkten Verwandten. Außerdem war es mein erstes ganz eigenes Lied unterlegt mit dem wunderbaren Klavierspiel von Jens Kommnick.“
„Reifliche Überlegungen, hitzige Diskussionen und schlaflose Nächte“
Wenn derart intime Kriterien ins Spiel kommen, wird es natürlich für eine Band schwieriger, sich da zu entscheiden. „Die Frage würde jeder aus der Band anders beantworten,“ sagt deshalb Jochen Vahle von Randale, die aus diesem Grund keinen Song nennen können.
Auch bei Radau gab es „reifliche Überlegungen, hitzige Diskussionen, eingehende Recherchen und schlaflose Nächte …“, aber dann konnte die Hamburger Kinderlieder-Rockband doch einen Sieger präsentieren: „Das Ritter-Lied“:
„Musikalisch verbindet es Leichtigkeit und Melancholie, es ist eingängig und doch von ausreichender Komplexität, es verfügt über ein lebendiges Arrangement und prägnante musikalische Elemente, die sich zu einem runden Ganzen fügen. Der Text bringt humorvoll und unkitschig auf den Punkt, dass Scheitern und entsprechender Hohn ein guter Ansporn sind, der Welt zu zeigen, was in einem steckt. Es geht also auch um Trost und Hoffnung. Das Ganze schließlich mit einer Fülle von Binnenreimen verpackt in eine lustige und sehr persönliche Rittergeschichte, die aus meinem tiefsten Inneren kommt.“ Wobei mit dem tiefsten Inneren das von Arne Gedick, Gitarrist und Sänger, gemeint sein muss, der den Song geschrieben hat.
In diesem tiefsten Inneren tragen wir also alle so ein glitzerndes Juwel mit uns herum, das mit seinem Funkeln und Leuchten dazu beiträgt, dass wir diesen Beruf so lieben. Über ein solches Juwel berichtet Klaus Foitzik aus Billerbeck sehr ausführlich. Und da es sehr schön beschreibt, was ihm (und vermutlich auch vielen von uns) wichtig ist beim Lieder schreiben, aufnehmen und performen, hat er damit das Schlusswort. Danach kann nichts mehr kommen.
„Auch das Arrangement spielt eine große Rolle“
Deswegen vorher noch drei Hinweise: Ich habe Links zu den Songs eingefügt, wenn sie mir bekannt waren. Das gilt leider nicht für alle hier vorgestellten Songs. Deswegen bin ich für Hinweise dankbar, die auch diese Lieder hörbar machen können.
Es gibt zu diesem Artikel eine nicht ganz vollständige You-Tube-Playlist, die ihr euch hier ansehen könnt.
Und natürlich will ich nicht kneifen und noch mein eigenes Lieblingslied nennen. „Das ist ja gar nicht lustig!“, sagte Emma (acht Jahre) mal über den Song. Es handelt sich um mein zum 1. April. Und mit dieser Aussage trifft sie den Nagel eigentlich genau auf den Kopf!
„Einen Text verstehen wir, die Musik erleben wir“
Und nun zu Klaus, der seinen „Gummiball“ für ein verkanntes Juwel hält. Dazu erzählt er diese Geschichte: „Kinderlieder müssen nicht nur aus kindgerechtem Text und leicht singbarer Melodie bestehen. Auch das Arrangement spielt eine große Rolle. Einen Text verstehen wir, die Musik erleben wir. Sie löst unmittelbar Gefühle aus. Ich möchte hier zeigen, wie ich diesbezüglich bei der Aufnahme meines Lieds „Gummiball“ vorgegangen bin:
Thema des Songs: Kinder wollen und müssen sich bewegen – Bewegung bedeutet Lernen, Erleben, Sich-Weiter-Entwickeln. Und was machen wir Erwachsenen? Wir lassen sie sitzen – im doppelten Sinn – in der Schule, vor dem Fernseher, vorm Computer. Die einzelnen Aspekte des Themas haben meine Musiker und ich musikalisch so umgesetzt:
– SITZEN GELASSEN: Das ganze Lied hat nur einen einzigen Akkord – harmonisch bewegt sich da gar nichts. Ganz anders der Rhythmus (dazu bitte Kopfhörer aufsetzen oder vor die Stereoboxen setzen).
– BEWEGUNSGDRANG: Am Anfang spielt nur eine einzige Rhythmusgitarre, aus beiden Boxen klingt dieselbe Begleitung. Es ist Bewegung drin, aber – noch – ganz klar und eindeutig. Dann sind es plötzlich zwei Gitarren gleichzeitig, eine aus der rechten Box, eine aus der linken. Sie spielen ähnliche rhythmische Figuren, aber eben nicht dieselben. Dadurch entsteht eine unruhige rhythmische Bewegung.
„Ich halte den Song für ein kleines musikalisches Juwel“
– WACHSENDE UNRUHE: Das Schlagzeug variiert den „groove“ über die gesamte Laufzeit des Songs, steigert sich immer mehr in rhythmische Varianten.
– BEWEGUNGSEXPLOSION: Der Schluss wurde ungeplant im Studio improvisiert. Die Band lässt – endlich – ihren Ideen freien Lauf.
– STILLSTAND? Ein letzter Akkord, der scheinbar alles zur Ruhe bringt – und dann doch noch mal kurz „flackert“. Ohne Bewegung geht es nun mal nicht.
Ich halte den Song für ein kleines musikalisches Juwel, das leider nur wenig Beachtung findet. Warum? Fürs Radio ist der Song zu lang, zum Mitsingen ist er nicht geeignet, am Handy oder PC kommt der Stereomix nicht rüber … und ich habe auch schon oft gehört, mit einem solchen Arrangement werfe man im Kindermusikbereich „Perlen vor die Säue“. Na gut, dann rennen wir also weiterhin atemlos durch die Nacht. Bewegung ist ja wichtig ;-).“