„Bremen so frei“: Ein Gespräch mit Imke Burma und David und Nicolas Jehn (Teil 2)
Als Sprösslinge der Worpsweder Musikwerkstatt reisen David und Nicolas Jehn seit über 25 Jahren in Sachen Kinderlied durch die Republik. Ihre Eltern Margarete und Wolfgang sind die ersten deutschsprachigen Kinderliedermacher neuerer Prägung. Noch vor Rolf Zuckowski oder Fredrik Vahle brachten sie beispielsweis mit dem Song „Die alte Moorhexe“ Bewegung in die deutsche Kinderliederlandschaft.
David und Nicolas spielen nach wie vor auch die Songs ihrer Eltern, haben aber längst eigene Lieder, Programme und Konzepte entwickelt. Seit 2011 arbeiten sie mit der Schauspielerin und Regisseurin Imke Burma als Texterin zusammen.
Gemeinsam haben die drei elf Lieder zur Bremer Geschichte geschrieben. In einem großen gemeinsamen Singen mit Kindern und Erwachsenen auf dem Bremer Marktplatz werden die Songs am Internationalen Kindertag am 1. Juni das Licht der Welt erblicken. „Bremen so frei“ heißt ihr Projekt.
Im ersten Teil des Interviews mit dem Kinderlieder-Magazin haben sie berichtet, wie es dazu kam und was sie dabei bewegt hat. Dass sie damit auch ein Wagnis eingehen und was sie sich erhoffen, erzählen sie im zweiten Teil des Gesprächs.
– Imke Burma und David und Nicolas Jehn im Gespräch mit Matthias Meyer-Göllner –
Matthias: Wie arbeitet ihr überhaupt? Imke schreibt einen Text und den vertont ihr?
David: Das hat Imke gut gemacht. Sie hat zum Beispiel geschrieben: Hanse-Song = Hanse-Swing. Da habe ich gleich so gedacht: Das wird eine Swing-Nummer, mit Band. Sonst sind Nicolas und ich ja immer zu zweit mit Gitarre und Bass. Diesmal haben wir eine komplette Band.
Matthias: Und die ist vom Sound her jazzig?
David: Naja, du spielst akustische Gitarre …
Nicolas: Ich spiele schon so … das klingt wie in der Big Band.
„Es ist auch ein Vorteil, wenn Texter und Komponist zwei Personen sind“
David: Blues und Jazz spiele ich sonst auch, aber für Kinder haben wir das so noch nicht gemacht.
Matthias: Und arbeitet ihr zusammen? Oder machst du den einen Song und du den anderen?
Nicolas: Ja, das machen wir getrennt.
David: Ich glaube die Bee Gees haben zusammen komponiert. Die saßen zusammen im Studio, hinten waren die Techniker … Ich kann nur alleine komponieren. Komponierst du mit anderen zusammen?
Matthias: Nein, ich komponiere immer nur alleine. Ich mache fast alles alleine. Aber es hätte ja sein können, dass es bei den Sprösslingen der Worpsweder Musikwerkstatt anders geht.
David: Aber auch bei unseren Eltern war das getrennt. Meine Mutter hat bei den Songs meistens eine Melodie im Kopf gehabt, und dann hat mein Vater entweder eine neue gemacht oder sie haben sich angeglichen. (an Imke:) Hast du eine Melodie im Kopf, wenn du die Texte schreibst?
Imke: Eher einen Rhythmus.
Matthias: Das ist ja auch ein Vorteil, wenn Texter und Komponist zwei Personen sind. Da gibt es ja die Schimmelmethode: Du schreibst einen Text auf eine Melodie eines existierenden Liedes und gibst ihn dann einem Komponisten. Der kennt die Melodie nicht und macht ein neues Lied daraus.
David: Grönemeyer komponiert erstmal mit englischen Vokalisen. Der eigentliche Text kommt erst viel später dazu.
Nicolas: Wir versuchen, uns dann manchmal anzugleichen, wenn der Text oder der Rhythmus nicht passen …
Imke: … die passen immer! (Lacht)
David: Ein paar Diskussionen gab es schon!
Imke: Okay, manchmal bei den Betonungen …
Nicolas: … dann rauft man sich zusammen. Im Großen und Ganzen hat das schon gut funktioniert. Wenn es Texter sind, die rhythmisch denken, ist das für die Komposition natürlich sehr viel leichter.
„Senat und Verantwortliche haben sich förmlich darauf gestürzt“
Matthias: Imke, du hast vorhin gesagt: Wir machen jetzt erstmal Fehler, das ist jetzt der Anfang. Wie geht es denn dann weiter?
Imke: Die Idee und der Wunsch ist, das jedes Jahr mit neuen Schulklassen zu machen.
Matthias: Dasselbe oder jedes Jahr wieder neue Songs?
Nicolas: Nein, dasselbe.
Imke: Wenn Werder mal wieder Meister wird, dann brauchen wir eventuell noch ein neues Lied …
Nicolas: Das dauert noch ein bisschen. Aber Senat und Verantwortliche haben sich ja förmlich darauf gestürzt, weil sie gemerkt haben: Die Bremer Geschichte in Liedern gibt es noch nicht. Und wenn es diese Lieder gibt und sie von vielen gesungen werden, dann stiftet das Identität für Bremen.
Matthias: Also wird das jedes Jahr gesungen in Zukunft?
Imke: Das ist eine Idee. Wie das dann konkret aussieht und was wir diesmal lernen, was man besser beim nächsten Mal anders macht, muss man gucken.
David: Es gibt ja keine Generalprobe! Keinen Vorlauf!
Imke: Es gibt eine halbe Generalprobe …
David: Ja, an der Uni. Öffentlich mit Leuten, die da hinkommen. Da proben wir mit der Band, machen die Ansagen und so. Es gibt so kleine Überleitungen und Interviews zwischen den Songs.
„Unser Versuch ist tatsächlich, Volkslieder zu schreiben – Lieder für das Volk“
Matthias: Kennt ihr „Klasse wir singen“? Ein bisschen ähnelt das ja eurem Konzept oder ist das ganz anders?
David: Ja, das kenne ich.
Imke: Was ist das?
David: Das ist ein Prinzip, das hat sich der Braunschweiger Domkantor Gerd-Peter Münden ausgedacht. Schulen treffen sich – zum Beispiel hier in Bremen in der Stadthalle – und singen gemeinsam Lieder. Da gibt es das „Klasse wir singen“-Lied und traditionelle Songs, die auch vorher rumgeschickt werden und die in den Schulen geübt werden.
Matthias: Richtig groß! Bei uns in Kiel ist das in der Sparkassen-Arena mit ein paar tausend Kindern.
Imke: Und da läuft dann Text oben durch?
Matthias: Nein, die üben das auch vorher. Die Klassen melden sich dafür an, das ist ähnlich wie bei euch.
David: Was singen die denn?
Nicolas: Ich glaube, es gibt ein Lied, was dafür geschrieben wurde, ansonsten singen die so Standards. Das sind nicht alles neue Lieder, glaube ich.
David: Unser Versuch ist ja tatsächlich, Volkslieder zu schreiben. Lieder für das Volk. Das kann man natürlich überhaupt nicht steuern, ob damit überhaupt jemand etwas anfangen kann. Nachher finden das alle blöd. Das ist ein Wagnis. Wäre toll, wenn ich wüsste, wie man Hits schreiben könnte. Das ist natürlich Bremer Geschichte …
Imke: Und das macht es natürlich speziell. Warum sollte das ein Hamburger singen?
Matthias: Ein Hamburger wird es nicht singen!
Imke: Nein, nicht wenn Pizarro drin vorkommt!
„Auch das Thema, Bremen zu bejubeln, ist nicht unbedingt ‚hipp’“
Matthias: Okay, wir haben als Unterschiede: Es ist regional, es singen Kinder und Erwachsene zusammen …
David: … das ist afrikanisch, da ist das kein Thema: Ist das für Kinder oder nicht? Die Frage „In welche Schublade können wir das stecken?“ ist eher typisch deutsch. An der Uni haben sich viele Studenten nicht dafür angemeldet, weil es Kinderlieder sind. Und das, obwohl sie als angehende Lehrer später damit zu tun haben werden.
Imke: Aber auch das Thema, Bremen zu bejubeln, ist nicht unbedingt „hipp“. Alles, was in Bremen jetzt so passiert, mit KiTa-Plätzen …
David: … den ganzen Schmu, den es da gibt …
Imke: … das macht `ne Stadt ja auch aus. Beim „Linzer Diplom“ zeigen wir auch eher die guten Seiten, obwohl es da ja auch viel um Bestechung ging. Deswegen fährt der Senat da ja auch so drauf ab.
Matthias: Heißt das, Kinderlieder sind nicht kritisch?
David: Es gibt viele Kinderlieder, bei denen man als Erwachsener gleich weghört. Da hört man einen bestimmten Sound und dann sagt man: Ach, das ist ja nichts für mich!
Matthias: Es gibt aber viele Versuche, den Sound so zu gestalten, dass Erwachsene nicht gleich weghören!
David: Das versuchen wir alle! Studenten sind ja meistens junge Erwachsene, die mit Kindern erstmal nichts am Hut haben.
Matthias: Auch, wenn sie Lehrer werden wollen?
David: Ja, genau das wäre ja meine Kritik. Umgekehrt haben die, die sich angemeldet haben, alle gesagt: Super, das macht ja richtig Spaß, das zu singen.
„Es soll ein Fest für Bremen sein“
Imke: Es ist alles eine Frage des Blickwinkels. Ich würde keinesfalls sagen, dass Kinderlieder nicht kritisch sein dürfen. In diesem Fall war der Blickwinkel vorgegeben durch die Vorlage von Kulenkampff: Es soll ein Fest für Bremen sein. Da macht man natürlich keinen Song über fehlende KiTa-Plätze.
Es ist nicht die Frage, ob eine differenzierte Kritik einem Volkslied entspricht. Das glaube ich nicht. Trotzdem war mein Anspruch beim Texten an mich selbst, dass das Lieder mit Substanz sind. Ich wollte nicht zehnmal singen: „Bremen ist wunderbar“. Da kommen schon Sachen, die weitergehen, beim Nachkriegssong oder bei der Hanse. Und was ein echter Bremer ist, dass der übern Tellerrand guckt und die Türen aufmacht, solche Botschaften stecken da auch drin.
Nicolas: „Was ’n echter Bremer ist“ ist fast das aktuellste Lied …
David: Das ist eben nicht „Friede, Freude, Eierkuchen …“ Aber was das kritische Kinderlied angeht … unser Prinzip ist da ganz oft: Man muss erstmal etwas lieben, um es auch würdigen zu können. Ich kann nicht über den Müll im Wald singen, wenn ich gar nicht weiß, wie der Baum heißt.
Matthias: Oder wie unser Freund Unmada zu sagen pflegt: Die Kinder, mit denen wir zu tun haben, müssen erstmal ein kräftiges „Ja“ ausprägen, bevor sie bewusst „Nein“ sagen können. Das macht sicherlich ein Kinderlied aus. Ist das dann der Grund, warum die Studenten sagen: Kinderlieder, nee, das ist nichts für mich?
David: Ich weiß es nicht.
Nicolas: Ich weiß ja auch gar nicht, wie genau die vorher über die Lieder Bescheid wussten.
„Es gibt viele Kinderliedstrukturen in der Erwachsenenmusik“
Matthias: Da wird’s ja spannend für uns, denn irgendwo ist da ein Bild im Kopf, das dichtmacht, wenn es „Kinderlieder“ hört. What’s the problem with „Kinderlied“ für euch? Da wollen wir doch ran!
David: Ich finde, es gibt unheimlich viele Kinderliedstrukturen in der Erwachsenenmusik. Wenn ich den Eurovision Songcontest angucke: Das sind für mich alles Kinderlieder, sogar textlich. Das bedeutet, dass viele die eigentlichen Kinderlieder gar nicht kennen. Und ich denke, bevor man Kinderlieder kritisiert, sollte man erstmal wissen, was das ist.
Imke: Der Begriff „Kinderlied“ wirkt da zu stigmatisierend. Nach dem Motto: „Das ist zu einfach, ich bin kein Kind mehr“.
David: Aber schreib erstmal ein einfaches Lied. Ein ganz einfaches Lied, das jeder versteht und das trotzdem Gefühl transportiert. Das ist nicht einfach zu schreiben.
Matthias: In diesem Zusammenhang finde ich den Begriff „schlicht“ schön …
Imke: … ohne banal zu werden.
David: Das ist genau das, was wir versucht haben.
„Viele der heutigen Kinderlieder waren zunächst Volkslieder“
Nicolas: Naja, schlicht nicht. Dafür ist die Bremer Geschichte zu kompliziert. Aber ich finde es auch schwierig, einfache Lieder zu schreiben, die auch zu Herzen gehen, ohne dass es Kitsch wird. Und wenn du Welthits analysierst, merkst du: Das sind schlichte Songs!
David: Ich finde immer noch die Pop- und Rocksongs am besten, die man auch allein auf der Gitarre spielen kann, ohne dass sie etwas verlieren.
Matthias: Und das gilt sicherlich auch für die Kinderlieder.
David: Absolut.
Nicolas: Ja, natürlich. Setzt dich mit der Ukulele irgendwohin und dann: Entweder du hast die Kinder oder du hast sie nicht.
Imke: Ich kenne zwar viele Kinderlieder, bin aber nicht so zu Hause in der Kinderliederwelt. Aber wenn das so getrennt ist – auf der einen Seite die Kinderlieder, auf der anderen Seite das für Erwachsenen, was man Kultur nennt, sagt das doch auch etwas über den Stellenwert von Kindern in der Gesellschaft aus.
Nicolas: Ich glaube, dass es das früher gar nicht so gegeben hat. Viele der heute klassischen Kinderlieder waren zunächst Volkslieder, die alle gesungen haben. Wenn du als Kind „Es waren zwei Königskinder“ singst, verstehst du noch nicht alles, das kommt erst später.
David: Aber das Gefühl, das in dem Lied transportiert wird, das verstehst du auch schon als Kind. Und vor allem verstehst du das Gefühl des gemeinsamen Singens.
„Erleben, wie Erwachsene und Kinder gemeinsam singen“
Matthias: Das ist doch ein Ziel, das wir als Kinderliedermacher anstreben: Dass es noch eine Ebene für später gibt.
David: Dass du nicht dabei sein musst, wenn deine Lieder gesungen werden.
Matthias: Ja, aber auch so, dass du ein Lied schreibst, dass ein vier-, fünf-, sechsjähriges Kind gut singen kann und das es auch gefühlsmäßig bewegt. Aber wenn du fünfzehn oder zwanzig oder älter bist und es wieder singst, merkst du, dass da doch noch eine andere Ebene drinsteckt.
Imke: Mir geht es so bei „Am Bahndamm wohnt der Regenmann“. Das fand ich schon als Kind total schön und das bewegt mich heute immer noch. Das hat viele Bilder und ist total zeitlos. Es verliert nichts. Ich habe nicht plötzlich das Gefühl: Ach ja, das ist Kindheit.
David: Man mischt ja auch die Gefühle der Kindheit mit seinem Erwachsenenerleben. Und dann spiegelt man sich auch in den eigenen Kindern. Wenn du erlebst, wie die die Lieder entdecken, die du auch als Kind schon gesungen hast, guckst du noch einmal mit einem viel liebevolleren Blickwinkel drauf.
Matthias: Und am 1. Juni 2017 um 10.00 Uhr auf dem Bremer Marktplatz kann man dann erleben, wie Erwachsene und Kinder gemeinsam singen. Wer sich über Einzelheiten informieren will oder die Lieder schon mal im Vorfeld hören, singen, üben will, findet alles wichtige auf der Internetseite von „Bremen so frei„. Ich danke euch für das Gespräch.
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