42 – Die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest (Teil 2)

– Ein Protokoll von Anders Orth (Lila Lindwurm) –

Für Larissa liegt die Antwort nach dem Sinn ihrer Arbeit auf der Hand.

Für Larissa liegt die Antwort nach dem Sinn ihrer Arbeit auf der Hand.

Wofür mache ich das eigentlich alles? Im ersten Teil unseres Ausfluges in die Welt der Kinderliedermacher- und macherinnen haben sich bereits einige der Künstler die Frage nach dem Sinn ihrer Arbeit gestellt. Auch Thomas Sutter (Leiter des renommierten Atze Theaters in Berlin) plagen ähnliche Gedanken. Sein Text taucht tief in die Psyche von KindermusikerInnen ein und gibt dem Ganzen auch noch eine politische Dimension (!), die bei alldem auf keinen Fall vergessen werden darf:

Na klar kenne ich das Gefühl. Man steht da und fragt sich: Wozu das alles? Und für wen? Man hat das Gefühl, sich den Arsch wund gearbeitet zu haben und bekommt kaum etwas zurück. Aber die entscheidende Frage ist: Was erwartet man? Was möchte man gerne zurückbekommen? Worauf wartet man? Und in diesem Zusammenhang stellt sich noch eine zweite Frage: Warum gehen wir auf die Bühne? Was erwarten wir selbst davon?

Ich glaube, dass fast jeder, der auf die Bühne geht, dies auch tut, um beklatscht und bewundert zu werden. Wir holen uns dort einen Teil der Bestätigung, nach der unsere Seele – aus welchen Gründen auch immer – schreit und japst und sich sehnt. Und im Geheimen hoffen wir, dass irgendwann jemand kommt, und uns ganz groß rausbringt. Dass wir mit dem, was wir machen, bestaunt werden. Dass die Leute uns bewundern. Dass sie sagen: Boh, was der alles kann.

„Wir werden nicht mehr berühmt. Es wird keiner kommen, der uns entdeckt“

Nun sind wir in einem Alter, in dem wir realisieren, dass dies in diesem Leben nicht mehr eintreten wird. Wir werden nicht mehr berühmt. Es wird keiner kommen, der uns entdeckt. Wir sind die kleinen Nischenkünstler und werden aus dieser Ecke auch nie mehr rauskommen.

Da kann man einerseits leiden und enttäuscht sein, man kann auch sagen, das war eine falsche Lebensentscheidung: Kunst – und in unserem Fall – Musik für Kinder zu machen. Es hilft aber alles nichts. So ist das Leben gelaufen. Wir haben uns alle freiwillig dafür entschieden, du hast dich dafür entschieden. Und so ist es eben.

Es hilft der Seele auch nicht zu wissen, dass diese Gesellschaft grundsätzlich kinderfeindlich ist. Dass alle, die für Kinder arbeiten, nicht die Bestätigung bekommen, die vergleichbare Berufe im Erwachsenenbereich bekommen. Es ist schreiend ungerecht. Ja. Das ist es. Aber wir werden das leider nicht ändern. Wir müssen mit dieser strukturellen und in den Köpfen von Entscheidungsträgern und in den Köpfen von vielen, vielen Erwachsenen manifesten Kinderfeindlichkeit leben.

„Ihr ignoranten Erwachsenen, leckt mich am Arsch. Ich mach es nicht für euch“

 Künstler für Kinder bekommen ein Drittel bis höchstens die Hälfte der Gage derer, die für Erwachsene arbeiten. So geht es uns und so geht es allen ErzieherInnen, die für Kinder arbeiten, auch. Es ist eine bittere und böse Wahrheit: Je kleiner die Kinder sind, umso schlechter ist die gesellschaftliche Anerkennung und die Bezahlung von Menschen, die für diese Kinder arbeiten. Ich selbst habe mich damit abfinden müssen, obwohl mich diese Ungerechtigkeit immer und immer wieder ankotzt.

Es gibt aber eins, was ich mache, wodurch ich merke, warum ich diese Arbeit mache und warum es wunderbar ist und eine wirklich gute Arbeit: Wenn ich nach den Auftritten zum Publikum gehe und mit Kindern spreche. Wenn ich höre und sehe und erlebe, wie sie auf das, was wir auf der Bühne gemacht haben, reagieren. Wie sie leuchtende Augen haben, wie sie strahlen, wie sie glücklich sind, wie wir in ihren Köpfen und in ihren Bäuchen etwas bewegt haben. Zum Klingen gebracht haben. Etwas angeregt haben. Das ist das, was meine Seele immer wieder heilt und streichelt.

Und das sind die Momente, in denen ich sage: Ihr ignoranten Erwachsenen, leckt mich am Arsch. Ich mache es nicht für euch, ich mache es genau für diese Kinder. Diese Momente machen mir manchmal mehr Spaß, als das ‚auf der Bühne stehen‘ und ein Stück spielen, zum tausendsten Mal, morgens um 10 Uhr, müde, mit dem Kopf voll von anderen Problemen, mit dem Älterwerden, mit der Frage ‚Wie lange soll ich das eigentlich noch machen, wie lange reichen meine Energien noch’ und, und, und …

„Sehen, wie meine Musik die Menschen berührt“

 Uns schrieb neulich ein kleines Mädchen in unser Gästebuch: Das Stück war schöner als der Sternenhimmel. Das hat mich total gerührt und sicher bekommst du auch solche Sätze zu hören. Und solch ein Satz hilft mir, mich wieder zu erden.“

Leckeres Catering, Blitzlichtgewitter und nix schleppen müssen im Tausch gegen Kontakt zum Publikum. Was ist wichtiger?, fragt Beater Lambert.

Leckeres Catering, Blitzlichtgewitter und nix schleppen müssen im Tausch gegen Kontakt zum Publikum. Was ist wichtiger?, fragt Beater Lambert.

Sind es nicht genau diese Sätze und die fantastischen, so unmittelbaren Reaktionen der Kinder, die uns so unermüdlich antreiben? Also genau solche Dinge, die Beate Lambert in ihrer Antwort so wunderschön beschreibt?

„Auf jeden Fall habe ich das, was Matthias Meyer-Göllner als so erstrebenswert darstellt, auf der großen Tournee mit Rolf Zuckowski erlebt und so groß ist der Unterschied auch wieder nicht. Leckeres Catering, Blitzlichtgewitter und nix schleppen müssen im Tausch gegen Kontakt zum Publikum. Was ist wichtiger?

Vor einigen Jahren hatte ich mal den hochbezahlten ersten Cellisten des Orchestre Suisse-Romande zu Gast, der in meinem Wohnzimmer Bach spielte, dass ich mich fragte, ob ich meinen Beruf an den Nagel hängen oder doch nochmal 20 Jahren üben solle. Während ich noch vor Neid zerfloss, seufzte er plötzlich „Ach, Beate, ich beneide dich!“  Hä?! Ich könne wirklich Kontakt aufbauen und sehen, wie meine Musik die Menschen berührt, während er in seinem Orchestergraben damit beschäftigt sei, richtige Töne zu produzieren und allenfalls an der Länge und Intensität des Applauses irgendwas ablesen könne.

„Wir vermitteln Kindern Werte und Lebensfreude“

Seitdem versuche ich, dankbar zu sein für all die wunderbaren Begegnungen, die wir immer wieder haben. Nie werde ich den kleinen behinderten Clown vergessen, der regungslos auf der Bühne steht und es einfach nicht fassen kann, dass er auf der Bühne steht und der Clown ist, nie das kleine Mädchen, das mich nach dem Auftritt mit großen Augen fragt „Willst du meine Mama sein?“ und nie den dicken türkischen Jungen, der nach dem Auftritt selig mit mir am Klavier sitzt und den Eindruck macht, als sei er gerade zum ersten Mal in seinem Leben für irgendetwas gelobt worden.

Damit beeinflussen wir Biografien! Kinder kommen auf die Welt mit dem Glauben, dass alles gut ist. Dann stellt sich oft heraus, dass alles Scheiße ist und viele Kinder wachsen unter den grässlichsten Bedingungen heran. Aber ein einziger Erwachsener, der ihnen in einem einzigen prägenden Moment spiegelt, dass sie recht haben mit ihrem Gefühl und es nicht an ihnen liegt, wenn sie Schlimmes erleben, kann ihnen die Zuversicht zurückgeben. Wir vermitteln Kindern Werte und Lebensfreude. Das ist das Sinnvollste was es gibt.“

„Ich liebe meine Arbeit, ich habe Zeit, kreativ zu sein“

Haben wir damit den Sinn gefunden, oder ist es alles nur der Blickwinkel, aus dem wir die Dinge betrachten, wie Cattu meint?

„Alles im Leben hat zwei Seiten, manchmal auch viele mehr … Ich habe mich z.B. immer wieder gefragt, ob ich doch lieber als Musiklehrer mit einer festen Stelle arbeiten sollte. Ausgebildet dafür wäre ich: festes Geld, bezahlter Urlaub etc. pp. Irgendwann habe ich mal einen Cartoon in die Hand bekommen. Darauf sah man einen Künstler, wahrscheinlich einen in die Jahre gekommenen Zeichner. In der Gedankenblase über seinem Kopf dachte er: Wenn ich jetzt Kunstlehrer wäre,
wäre ich dann glücklich?

"Ich habe für mich entdeckt, mich darüber zu freuen, dass ich genau dort stehe, wo ich gerade stehe", sagt Cattu.

„Ich habe für mich entdeckt, mich darüber zu freuen, dass ich genau dort stehe, wo ich gerade stehe“, sagt Cattu.

Wahrscheinlich würde ich darüber nachdenken, wie es wäre, als freier Künstler zu leben. Das Gras auf der anderen Seite des Zaunes oder Gartens erscheint uns dummerweise immer grüner. Ich habe für mich entdeckt, mich auch mal darüber zu freuen, dass ich genau dort stehe, wo ich gerade stehe. Und ich glaube, das ist ein Schlüssel zum Glück, zumindest vorübergehend … Ich liebe meine Arbeit, ich habe Zeit, kreativ zu sein, bzw. ich nehme mir sie einfach. Viele Menschen träumen nur davon, diese Zeit zu haben und laufen immer weiter in ihrem Hamster-Rad.“

„Wie lange kann, will, muss ich noch?“

Aber auch an KindermusikerInnen nagt das „Hamsterrad der Zeit“. Und – das ist ja keine neue Erkenntnis – verstärkt dieses „Genage“ durchaus die Nachdenklichkeit, nicht nur bei Menschen, die auf der Bühne stehen. Unser Kollege Gerd Müller (von Spunk) steuert auf die 70 zu und macht sich auf Grund dessen seine (Sinn)Gedanken:

„Was einige in unserem Zusammenschluss (kindermusik.de) betrifft und was Thomas kurz angesprochen hat: Das Älterwerden, bzw. das Altsein oder um mit Matthias zu sprechen: ‚Voll der Opa.’ Das ist doch ein sicherlich nicht nur für mich spannendes und existenzielles Thema: Wie lange kann, will, muss (wegen der Finanzen) ich noch? Funktioniert mein Konzert-Konzept noch oder muss ich mir was Zusätzliches/Anderes einfallen lassen?

Ich habe die Anzahl meiner Konzerte stark reduziert, habe mir immer wieder kleine Auszeiten verschrieben und habe das Standbein der Fortbildung verstärkt, nicht zuletzt auch aus Gründen der Nachhaltigkeit.“

„Ab 42 geht’s los mit Grübeln und Zweifeln“

Und damit schließen wir auch schon (sinnigerweise!) den Kreis und lassen uns von Larissa erklären, weshalb die Antwort 42 ist:

„Laut ‚Per Anhalter durch die Galaxis’ ist der Sinn des Lebens 42. Ich denke, ich weiß, was damit gemeint ist! Alle schon gespannt? Na gut – ich bin heute sehr großzügig, hier die Aufklärung: Bis 42 denkt man nicht drüber nach, ab 42 geht’s los mit Grübeln und Zweifeln … Alles ganz normal.“

Resümiert sie und empfiehlt Geraldino, über das Thema ein Buch zu schreiben. Hiermit wäre der Anfang schon gemacht.

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