Handgemacht oder digitales Bumm-Bumm?
– Ein Text von Rüdiger Bischoff –
Immer wieder die zentrale Frage bei der Vorauswahl der CDs für den Klangohr CD-Test. Die allmonatliche Qual der Wahl. Doch zuerst ein kleiner Rückblick: 1998 übernahm ich von Egizia Rossi die Musiksendung im täglichen hr2 Domino Kinderprogramm. Die kurz darauf bei einem Verkehrsunfall verstorbene Kollegin hatte als eine der ersten den Begriff des „Crossover“ im Kulturradio mit Leben erfüllt und ’salonfähig‘ gemacht. Diesen Ansatz wollte ich fortführen und so waren in meiner neuen Sendung „Detektiv Klangohr“ (später nur noch „Klangohr“) Kreuzungen, Überschneidungen und Überquerungen nicht nur erlaubt, sondern erwünscht.
Bewusstes Hören und Zuhören
Beim Klangohr-Konzept steht das bewusste Hören und Zuhören im Mittelpunkt. Im ersten Teil der anfangs 25-minütigen Sendung gingen wir „auf die Suche nach Tönen“. Da ging es z.B., inspiriert von der Stiftung Zuhören, um das Wahrnehmen und Unterscheiden von Alltagsgeräuschen, es gab Berichte über ausgefallene Musikaktionen, MusikerInnen-Porträts und den „Klimperkasten“ mit Musikinstrumenten aus aller Welt. Die damalige hr2 Domino Redakteurin Heike Kraft schlug vor, eine Kinderjury aufzubauen für regelmäßige CD-Tests in Klangohr. Und am Ende jeder Sendung war das Hörrätsel. Die Kinder schickten Postkarten und konnten CDs gewinnen. Wer hier öfters auftauchte, wurde von mir zur Gründung einer eigenen Kinderjury animiert. So gab es parallel immer mehrere Jurys. 2010 war dann Schluss mit lustig. Die Sparwelle (es gab seit Jahren schon keine Gebührenerhöhungen mehr für die Öffentlich-Rechtlichen) erreichte hr2 Domino. Nach der Schließung des werktäglichen Kinderprogramms beim Hessischen Rundfunk zog Klangohr um zum Deutschlandradio und ist seitdem bei Kakadu am ersten Musiktag im Monat eine feste Rubrik. Nur noch 10 statt 25 Minuten – aber wie war das mit dem Spatz in der Hand …? Auf Wunsch der Redaktion wurde das Konzept des CD-Tests verändert, so dass nun in ca. 10 Minuten i.d.R. zwei Kindermusik-CDs (statt einer) vorgestellt bzw. getestet werden.
Harte Arbeit
Eine bzw. heute zwei CDs mehrmals intensiv anhören, beim Kinderjury-Treffen ganze Sätze mit Anfang und Ende sprechen und dann auch noch jede positive oder negative Aussage begründen, das war für jede neue Kinderjury am Anfang eine schier unüberwindbare Hürde. So war und ist meine Hauptaufgabe zuerst einmal eine medienpädagogische. Die Anleitung der Kinderjurys, damit am Ende, wie wir das nennen, „sendbares“ Material herauskommt. Eine der Kinderjurys ist i.d.R. bei mir vor Ort und wird von mir betreut. Alle anderen müssen jedoch ihre O-Töne selbst produzieren. Vor 17 Jahren noch mit einem Kassettenrekorder, heute digital. Meistens übernimmt eine Mutter bzw. ein Vater die Regie und befragt die Kids nach einem eigens dazu ausgetüftelten Leitfaden. Bis dann die ersten sendbaren Aufnahmen von mir weiter bearbeitet und geschnitten werden können, sind viele E-Mails und Telefonate nötig.
Handgemacht oder digitales Bumm-Bumm
Wie war das nun mit der Qual der Wahl? Bevor eine Kinderjury arbeiten kann, müssen die CDs ausgewählt werden. Der Abhörstapel auf meinem Schreibtisch ist manchmal so hoch, dass allein schon die Einsturzgefahr Entscheidungen herausfordert. Doch welche CDs schlage ich meiner Redaktion vor? Wichtigstes Kriterium für mich: ‚Handgemachte Musik‘ oder ‚digitales Bumm-Bumm‘. Als gelernter ARD-Tontechniker weiß ich natürlich um den wissenschaftlich-technischen Wandel im tonproduzierenden Bereich und dass handgemacht digitale Gimmicks nicht ausschließen muss. Ein schönes Beispiel ist Klangohr vom 4. Februar: „Talking Drums“ von Mani Neumeier. Keine Kindermusik-CD, aber im besten Sinne des Crossover eine vorstellenswerte Scheibe. Alle Jury-Kids waren begeistert. Besonders interessant fanden die Kinder die Vermischung von astreiner handgemachter Musik und der dezenten Verwendung moderner digitaler Sampletechnik.
Sendestapel oder No-Go-Kiste
„Talking Drums“ landete bei mir sofort auf dem Sendestapel. Genauso schnell wie die von mir als „Bumm-Bumm“-Produktionen bezeichneten unsäglichen Immer-Alles-Gleich-Kling-Scheiben in die No-Go-Kiste fliegen. Was die Texte betrifft, halte ich es eher mit Gerhard Schöne. Er setzt den Level bewusst höher und sagt: „Kinder sind schlauer als man denkt und außerdem haben sie so die Chance, immer wieder etwas Neues auf meinen CDs zu entdecken“. Ansonsten: Hat die CD etwas Pfiffiges, Anregendes, Ungewöhnliches, Nachdenkliches oder sonst wie aus dem Einheitsbrei herausstechendes Kreatives? Oder klingt ein Cut wie der andere? Ich weiß, das Eis, auf das ich mich hierbei begebe, ist nicht nur glatt, sondern manchmal auch sehr brüchig. Und die erste Einschätzung einer CD stark von der momentanen persönlichen Stimmung abhängig. Also schiebe ich jede CD, die mich erst einmal so gar nicht vom Sockel reißen will, nach einiger Zeit nochmals in den CD-Player. So sind tatsächlich schon CDs wieder der No-Go-Kiste entronnen.
Ein bisschen Hörerfahrung aus diesen inzwischen über 17 Klangohr-Jahren kommt dann natürlich auch noch dazu, auch wenn ich damit nicht aus der Subjektivitäts-Nummer heraus komme. Die KünstlerInnen halten ihre Werke verständlicherweise meistens für überaus gelungen und bekommen nicht selten schon von der mit aller Vorsicht formulierten Kritik der Kinderjurys Schweißausbrüche: „Ist ja eh alles subjektiv, was ihr da macht. Und außerdem, bei meinen Konzerten sind die Kids immer begeistert.“ Und das ist tatsächlich die Krux: Ein Konzert ist eben keine CD. Und die kann tatsächlich völlig konträr zum Live-Erlebnis klingen. Deshalb bin ich großer Fan von Live-CDs. In diesem Sinne, bis zum nächsten Klangohr.