Gute Kindermusik ist Kultur: Ein Gespräch mit Kathrin Thiele und Ralf Kleinschmidt
„Kindermusik auf der Bühne? Brauchen wir nicht, wir stellen eine Hüpfburg auf, das reicht …“ Mit solchen und ähnlichen Aussagen von Veranstaltern hat sich Kathrin Thiele herumgeschlagen, wenn sie die Tour vom Kinderliederausdenker „Zwulf“ alias Ralf Kleinschmidt organisierte. Nach Verantwortung für kulturelle Bildung klang das nicht. Das gilt auch für den Bereich von Schulen und Kindergärten. Bei Erziehern fehlt seit Jahren ein fundierter musischer Teil in der Ausbildung. Auch hier spürte Kathrin Thiele die Löchrigkeit im Dach der Kultur. Zudem ist Kindermusik in Medien wie Fernsehen und Rundfunk weiterhin unterrepräsentiert.
Deswegen beschlossen die beiden, ein Projekt ins Leben zu rufen, mit dem sie nichts Geringeres erreichen wollen als eine bundespolitische Unterstützung für die Sache der Kindermusik. In Leipzig sind beide zu Hause. Ralf erst seit Kurzem, als Teil des Kinderliedermacherduos „Ulf und Zwulf“ lebte er die meiste Zeit seines Lebens in Berlin. In Leipzig trafen sie sich mit Matthias Meyer-Göllner, um über das Live-Erlebnis von Kindermusik zu sprechen und was Frau Schwesig und Herr Schäuble damit zu tun haben.
– Kathrin Thiele und Ralf Kleinschmidt im Gespräch mit Matthias Meyer-Göllner –
Matthias: Kathrin, „Gute Kindermusik ist Kultur“ – das ist doch eigentlich nur ein frommer Wunsch des Kinderliedermachers, oder?
„Gute Kindermusik ist für Kinderseelen gemacht„
Kathrin: Nein, auf keinen Fall. Gute Kindermusik ist für Kinderseelen gemacht und geht direkt dorthin. Und sie erzählt Geschichten, die die Kinder mit auf Fantasiereise nehmen. Das tut sie mit leisen oder lauten Tönen, manchmal frech und manchmal knallig.
Ralf: Na klar ist das ein Wunsch! Wenn man sich das nicht wünschen würde, käme man ja gar nicht auf die Idee, so ein Projekt zu initiieren. Aber die Arbeit, die dort die Kinderseelen erreicht, wird sonst leider unterbewertet in einer kinderfeindlichen Gesellschaft. Die Medien vermitteln zwar den gegenteiligen Eindruck, aber es lassen sich genügend Beispiele finden, die zeigen, dass dieses Bild nicht der Realität entspricht.
Deswegen dieser Ansatz: „GuKiMuiKu“ (lacht) – Kinder können das besser aussprechen – soll ins Bewusstsein rücken, dass die Kultur ein Haus mit vielen verschiedenen Räumen ist, in dem auch die Kinder und die Kinderkultur zu Hause sind.
Matthias: Was gibt euch denn die Zuversicht, dass euch die kinderfeindliche Gesellschaft bei „GuKiMuiKu“ Gehör schenken wird?
Ralf: Das ist `ne gute Frage.
Kathrin: Die Zuversicht schöpfe ich aus meiner Leidenschaft für die Kindermusik.
Matthias: Du empfindest Leidenschaft für Kindermusik!?
Kathrin: Ja!
Matthias: Aber du bist keine Kinderliedermacherin!
Kathrin: Nein.
„Kindermusik ist eben nicht nur Supermarkt-Billigproduktion“
Matthias: Woher kommt die Leidenschaft?
Kathrin: Die Leidenschaft kommt daher, dass ich leidenschaftliche Mama bin. Ich habe meinem Sohn von Anfang an den Alltag mit Liedern erklärt und begleitet. Auch Lieder, die ich mir selbst ausgedacht habe.
Matthias: Wie alt ist dein Sohn?
Kathrin: Zehn.
Matthias: Dann ist er ja eigentlich raus aus dem Alter für Kindermusik …
Ralf: Er nun gerade nicht, aber in der großen Mehrheit haben sich die Kinder mit zehn schon lange von uns verabschiedet. Der Schonraum Kindheit ist für sie dann erstmal abgeschlossen, sie wollen cool sein und zu anderen Gruppen gehören. Das ist schon verständlich. Bruno ist da schon sehr speziell.
Matthias: Da hat Kathrin wohl ihre Leidenschaft weitergegeben. Findest du denn sonst auch Resonanz? Das interessiert uns Kinderliedschaffende natürlich.
Kathrin: Es ist sehr unterschiedlich. Ich erlebe, dass viele junge Eltern die Kindermusik als solche sogar ablehnen.
Matthias: Warum?
Kathrin: Mit dem O-Ton: „Ach nee, kann ich nicht mehr hören!“ Ich schlage dann vor, doch einfach mal in die Vielfalt der Angebote in der Kindermusik reinzuhören. Kindermusik ist eben nicht nur Supermarkt-Billigproduktion, sondern es gibt wunderbare schnelle, rockige, langsame, leise Lieder, die die Kinder mitnehmen. Mit ihren Seelen.
Der momentane Trend, dass die Kinder von klein auf mit Erwachsenenmusik konfrontiert werden, ist nicht gesund. Es gibt aber auch ganz viele tolle Resonanzen. Da sind Eltern dankbar für Empfehlungen guter Kindermusik. Die gucken dann auch sehr gezielt nach Liedern zum Beispiel für ein bestimmtes Alter.
„Kindermusik soll kindgerechte Emotionen erzeugen“
Matthias: Du empfiehlst gute Kindermusik. Was ist für dich gute Kindermusik? Und was empfiehlst du dann? Natürlich alle Sachen von Zwulf, oder?
Kathrin: Nein, nicht alle. Ich bin ein absolut großer Kritiker!
Matthias: Was empfiehlst du dann?
Kathrin: Rotz `n’ Roll Radio zum Beispiel von Kai Lüftner. „Deine Freunde“ empfehle ich auch, weil`s fetzig ist.
Ralf: Da bin ich aber `n bisschen zwiespältig. Ich habe mir zwei Videos, die sie produziert haben, angesehen und war irritiert. Mir ist klar, dass die Art und Weise der Darbietung ankommt – Beats und Bässe versetzen die Kinder in Bewegung. Die Texte sprechen aber die Kinder nicht emotional an.
Matthias: Du meinst, es sind mehr Lieder über Kinderthemen aber keine Texte, bei denen die Kinder mitgenommen werden?
Ralf: Ja.
Matthias: Wobei sie ja selber sagen, dass sie sich altersmäßig erstmal orientieren mussten. Kindergarten haben sie schnell ausgeschlossen, eher die Zielgruppe Schulalter probiert. Inzwischen richten sie sich verstärkt an die Familie. Die Eltern werden auch in den Texten bewusst angesprochen.
Ralf: Ich fand es unpersönlich, was ich da gesehen habe. Es fetzt – aber ich hatte nicht das Gefühl, dass ein Draht entsteht in der Gemeinschaft.
Matthias: Ich bin auch sehr gespannt darauf, ein „Deine Freunde“-Konzert zu sehen, weil mich genau das interessiert: Wie kommen die eigentlich in Kontakt mit den Kindern?
Kathrin: Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Kindermusik soll kindgerechte Emotionen erzeugen! Sie soll Werte vermitteln – nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern immer mit einem Augenzwinkern. Da muss ich Ralf recht geben: In einem Lied wie „Hausaufgaben“ steckt das so nicht drin.
Kinder malen sich zu jedem Ding ein Bild in ihrem Kopf. Gute Kindermusik greift genau diese besondere Fähigkeit von Kindern auf: Sie gibt ihnen die Möglichkeit, Bilder zu malen. Wenn sie zu Hause erzählen: Wir haben heute ein Konzert erlebt, es waren viele Kinder da, neben mir, der hat getanzt. Da habe ich mit ihm getanzt. Dann fragen Mama und Papa: Was war das denn für Musik? Dann erzählt das Kind die Geschichte des Bildes, das es in seinem Kopf hat. Es wird die Texte nicht wiederholen können, aber es hat dieses Bild in seinem Kopf. Und Bilder entstehen aus Emotionen, die die Musik erzeugt hat.
„Blast nicht einfach nur eine Hüpfburg auf – lasst Kindermusik zu den Kindern kommen“
Matthias: Und wie bringt „GuKiMuiKu“ jetzt den Stein ins Rollen? Für die gute Kindermusik?
Kathrin: Wenn man den Ausspruch „Gute Kindermusik ist Kultur“ hört, denkt jeder sofort an den erhobenen Zeigefinger. Aber in dem Moment, in dem man „GuKiMuiKu“ in den Mund nimmt, muss man schon ein bisschen lächeln. Man stellt sich vielleicht eine kleine Figur vor. Eine, über die Kindermusik transportiert werden darf.
Eine, die zu den verantwortlichen Erwachsenen gehen kann und sagen kann: Tut etwas dafür. Blast nicht einfach nur eine Hüpfburg auf oder faltet Luftballons. Macht es möglich, dass Kindermusik zu den Kindern kommt. Unterstützt uns, damit wir das Projekt nach außen tragen können und der guten Kindermusik – die ja schon da ist – einen höheren Status verschaffen können. Damit die innere Wertigkeit der Kindermusik auch nach außen sichtbar wird.
Matthias: Wem wollen wir dieses Lächeln ins Gesicht zaubern? Eltern, Veranstaltern oder Politikern?
Kathrin: Das Lächeln wollen wir den Kindern ins Gesicht zaubern.
Matthias: Aber als du sagtest, dass man Lächeln muss, wenn man „GuKiMuiKu“ ausspricht, habe ich eigentlich Erwachsene gesehen …
„Die Erwachsenen in die Verantwortung nehmen, bis hinauf zum Bund“
Kathrin: Natürlich werden wir diesem Stück Kultur nur seine ihm gebührende Stellung verschaffen, wenn es auch finanziell unterstützt wird. Schulen und Kindergärten haben für Konzerte vor Ort in den Einrichtungen kein Geld. Die Folgen dieses Zustandes werden wir erst in ein paar Jahren spüren, wenn die Kinder praktisch ohne Kindermusik aufgewachsen sind und keine Affinität zur Musik entwickeln konnten. Dem möchte ich entgegenwirken, indem ich die Erwachsenen, die die Entscheidungen treffen, in die Verantwortung nehme, bis hinauf zum Bund.
Matthias: Also lächeln sollen Frau Schwesig und Herr Schäuble.
Kathrin: Gerne. Und ich bin mir ganz sicher, dass Herr Schäuble sich ein Lächeln nicht verkneifen kann.
Ralf: … und die Intendanten der Fernseh- und Rundfunkstationen, die Medien …
Kathrin: Ich finde, dass auf jedes Stadt- und Familienfest mindestens ein professioneller kultureller Beitrag für Kinder gehört. Das ist ja eigentlich ein Thema für Länder und Gemeinden. Und die haben genau dafür kein Budget.
Matthias: Ich glaube schon, dass ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, Kultur auch auf solche Veranstaltungen zu bringen. Aber im entscheidenden Moment steht dann immer die Frage da: Wer soll das bezahlen?
„Das Geld ist ja da, aber der politische Wille müsste es auch sein“
Ralf: Das ist doch eine Frage der Prioritätensetzung. Wenn Amerika und die NATO verlangen, dass die Militärausgaben erhöht werden, ist Frau Merkel sofort da. Man könnte aber auch sagen: Nein, wir setzen andere Prioritäten, wir fördern stattdessen die Kultur, damit der Faden nicht abreißt und die Gesellschaft nicht vergiftet wird. Das Geld ist ja da, aber der politische Wille müsste es auch sein.
Kathrin: Manchmal können die Gelder nur dann verteilt werden, wenn eine entsprechende Anfrage da ist. Ich bin jetzt mal ganz optimistisch und sage: Das Geld liegt bereit und wartet nur darauf, dass ihm genau so ein schönes Projekt präsentiert wird.
Matthias: Wenn ich das richtig verstehe, ist es das Ziel, einen Kinderkulturfonds zu schaffen, aus dem dann auch gute Musik für Kinder gefördert und unterstützt werden kann?
Ralf: Genau. Eigentlich der gleiche Ansatz, den ihr damals in Schleswig-Holstein für die Schulkonzerte verfolgt habt.
„Kinder sollen live erleben, wie Musik gemacht wird“
Kathrin: Genau. Aus diesem Fonds sollten auch Kindergarten- und Grundschulkonzerte bezuschusst werden! Denn es ist so wichtig, dass die Kinder es direkt erleben. Nicht nur im Tablet, im Fernsehen oder auf der CD. Sie sollen live erleben, wie Musik gemacht wird. Im Bereich der Klassik laufen schon viele derartige Projekte und werden gut angenommen. Warum also nicht auch mit Kindermusik?
Matthias: Der Fonds soll ein Bundesfonds sein? Da müssten ja schon Millionenbeträge zusammenkommen, aus denen bundesweit Zuschüsse verteilt werden für bestimmte Veranstaltungen. Normalerweis geschieht sowas aber auf Länderebene …
Kathrin: Ich denke mir: Geh nicht zum Schmidtchen sondern geh zum Schmidt. Die aktuelle Kinder- und Familienorientierung im Familienministerium stimmt mich da zuversichtlich. Ich sehe da ein großes Potenzial, die Aufmerksamkeit auf die Arbeit der Kinderliedermacher und Kindermusikausdenker zu lenken, weil sie wertvoll ist.
Matthias: Natürlich ist die wertvoll!
Kathrin: Ja, das wissen wir, die diese Leidenschaft leben, ihr als Kinderliedermacher und ich als Mutter. Aber anderen ist das nicht bewusst. Und deshalb darf man es ihnen auch immer wieder sagen. Und wenn man es mit GuKiMuiKu und einem netten Lächeln tut, könnte es sein, dass wir da ein schönes Projekt auf die Beine stellen.
Ich finde die Idee gut und hoffe, dass sich davon ein Teil in die Realität umsetzen ließe. Ich sehe nur, dass schon in Kindergärten aufgrund Geldmangels die Grundlagen fehlen, also beispielsweise CDs mit guter Kindermusik!