Zwischen Isolation und Rock ’n‘ Roll: Frauen in der Kindermusik (Kieler Kinderliederwoche – Tag 5)

– Ein Gespräch zwischen Suli Puschban und Matthias Meyer-Göllner –

Suli Puschban und Matthias Meyer-Göllner beim "Vampir Karate" bei der Kieler Kinderliederwoche 2016

Suli Puschban und Matthias Meyer-Göllner beim „Vampir Karate“ bei der Kieler Kinderliederwoche 2016

Die Autorenvereinigung Kindermusik.de besteht inzwischen aus 44 Mitgliedern. Nur acht davon sind Frauen und drei sind Duos, bei denen eine Frau beteiligt ist. Gleichzeitig ist der überwiegende Teil der Mitarbeiter im pädagogischen Bereich weiblich. Woran liegt das? Und lässt sich das ändern? Darüber sprachen die Kinderliedermacher Suli Puschban und Matthias Meyer-Göllner auf dem Kieler Kinderliederfestival, wo sie heute gemeinsam auf der Bühne standen.

Matthias: Suli, es gibt 20 Prozent Frauen bei kindermusik.de. Warum ist das immer noch nicht genug?

Suli: Weil es nicht gleichberechtigt ist. Es ist anzustreben, dass gleich viele Frauen und Männer in der Kindermusik aktiv sind, weil seltsamerweise in der Pädagogik (in der Schule oder als Erzieherinnen) die Frauen nach wie vor dominieren. Höchstens die Chefetage ist manchmal nur männlich. Mir ist das zu wenig.

„Kindermusik ist ein Abbild der Musik im Großen: total männerdominiert“

Matthias: Woran liegt es? Es ist ja nicht so, das kindermusik.de Aufnahmekriterien hätte, die es verbieten oder beschränken würden, Frauen aufzunehmen. Soweit ich mich erinnere, haben wir beinahe noch nie den Aufnahmeantrag einer Frau abgelehnt. Siehst du verborgene Mechanismen, die wir nicht erkennen? Oder ist Kindermusik in dieser Hinsicht einfach ein Abbild der Gesellschaft?

Suli: Insgesamt glaube ich schon, dass Kindermusik ein Abbild der Musik im Großen ist. Da ist es doch so: Natürlich gibt es Künstlerinnen, viele Sängerinnen, Singer-/Songwriterinnen, aber oft sind die Bands im Hintergrund total männerdominiert. Ich glaube einfach, dass Jungs gesellschaftlich durch ihre Rolle mehr animiert, mehr bestätigt, mehr motiviert sind, zum Beispiel Musiker zu werden. Aus meiner eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass es schwierig ist, Profimusikerinnen auf einem hohen Niveau zu finden, um zum Beispiel meine Band in zweifacher Besetzung zu bestücken.

Matthias: Interessant ist dabei die Frage, ob sich Kinderliedermacherszene und Musikerszene so ohne weiteres vergleichen lassen. Unbestritten ist, glaube ich, dass es sowohl im Profi- und im Semiprofi- als auch im Amateurbereich mehr Musiker als Musikerinnen gibt, wenn man „Musiker“ als jemanden definiert, der ein Instrument in einer Pop-, Rock- oder Jazzband spielt. Anders sieht es aus, wenn man einen Musiker als jemanden definiert, der singt und singen will. Da gibt es, glaube ich, mehr Frauen. Und ist nicht Instrumentalspiel einfach nur ein Ersatz für das Singen?

Außerdem denke ich, dass sich die allgemeine Musikszene nicht so ohne weiteres auf die Kindermusikszene übertragen lässt. Du sprachst ja an, dass Kinderliedermacherinnen und Kinderliedermacher in einer ansonsten von Frauen dominierten Welt der frühkindlichen Bildung und Erziehung unterwegs sind. Wollen vielleicht Frauen keine Frauen sehen?

Suli: Das glaube ich nicht. Es ist eher ein Abbild der patriarchalen Strukturen in denen wir leben. Ich finde schon, dass gerade in den letzten Jahren, was das Rollenbild von Jungs und Mädchen angeht, eine starke Rückwärtsentwicklung im Gang ist, die stark dieses „Jungs sind Jungs, weil sie eben so sind“-Ding favorisiert. Und nicht mehr sagen will – wie zum Bespiel im Feminismus – dass die Sozialisierung dafür sorgt, wie jungen- oder wie mädchenhaft du bist.

Suli Puschban probt mit dem Chor in der Kieler Fröbelschule

Suli Puschban probt mit dem Chor in der Kieler Fröbelschule

Es wird sich niemals richtig klären lassen, was es jetzt wirklich ist. Warum bin ich so, wie ich bin? Nämlich immer schon ein burschikoses Mädchen, die sich die Butter nicht vom Brot nehmen lässt. Lag‘s an meinen Eltern, liegt‘s an meinen Genen, liegt’s an meinem Umfeld, an der Gesellschaft, woran liegt’s denn nun eigentlich? Da kommt natürlich vieles zusammen.

Aber als wir gestern zusammen in der Schule waren, hingen viele Fotos von den aktuellen Kindern an der Wand. Ungefähr 98 Prozent der Mädchen hatten lange und 95 Prozent der Jungen kurze Haare. Und Hellblau/Rosa wird wieder mehr. Es kommt alles wieder.

Matthias: Es gibt ja auch sowas wie die AfD.

Suli: Ja, genau, das hängt alles miteinander zusammen. Meine Theorie ist, dass der sozialkritische Protestsong von früher bald wiederkommt, weil wir’s brauchen.

Matthias: Nochmal zurück zur Kindermusik. Wo geht es denn nun schief, wenn sich das Verhältnis von Frauen zu Männern, die in der Pädagogik arbeiten, in der Kinderliederszene genau umkehrt?

Suli: Geht’s nicht auch um den Arsch in der Hose? Warum nehmen eher Männer den Direktorjob in der Schule? Du steckst ja nicht nur mehr Geld ein, sondern auch mehr Kloppe. Du musst den „Arsch in der Hose“ haben, um unpopuläre Entscheidungen zu treffen und durchzuziehen. Vielleicht schrecken Frauen vor der Verantwortung zurück.

„Ich glaube, dass die Musikindustrie nicht unbedingt die Türen für Frauen offenhält“

Matthias: Das hätte dann wieder mit der Sozialisation zu tun?

Suli: Zum Beispiel. Ich hätte mit 18, 19, als es darum ging, was ich jetzt beruflich mache, was will ich studieren und wohin soll mich mein Weg führen, niemals den Mumm gehabt zu sagen, ich möchte Musik, Gesang, Gitarre oder Schauspielerei studieren. Ich habe zwar zu der Zeit schon eigene Songs geschrieben, aber ich hätte mir das als Beruf nie zugetraut.

Matthias: Das ging mir ähnlich. Ich hätte mit 19 auch nie von mir erwartet, so einen unsteten, künstlerischen Lebensweg zu gehen. Auch wenn ich diese Sehnsucht danach gespürt habe.

Suli: Auf der anderen Seite, nimm das Beispiel „20 feet from stardom“. In dieser Doku geht es um Backgroundsängerinnen, die wirklich so gut waren, dass sie eigentlich das Zeug und die Ambitionen zur Frontfrau gehabt hätten. Das hat dann aus unterschiedlichen Gründen nicht geklappt. Ich glaube, dass die Musikindustrie nicht unbedingt die Türen für Frauen offenhält.

Matthias: In gewissem Sinn schon. Wenn du dich nackt ausziehst als Frau, kommst du überall hin, oder?

Suli: Sex sells everything.

„Der Sexismus der Gesellschaft schlägt sich auch in der Kindermusik nieder“

Matthias: Das lässt sich Gott sei Dank nicht auf die Kindermusikszene übertragen.

Suli: Nein, das meine ich nicht, ich glaube nur, dass der Sexismus der Gesellschaft sich auch in der Musik niederschlägt und auch in der Kindermusik. Ich finde, dass die Männer in der Kindermusik, die gute Musik machen und auch immer mehr und jünger werden, es an einem kritischen Blick auf die Gesellschaft mangeln lassen. Gerade was das Rollenverständnis und dergleichen anbelangt.

Matthias: Meinst du in ihren Liedern und Texten?

Suli: Ja. Zu viele Angeberlieder! Ich mach das auch, aber das ist etwas anderes.

Matthias: Aber kommt das nicht auch vom modernen Ich-Kult in der Popmusik, so aus der Rapper/Hiphop-Szene?

Suli: Ja, ist denn nicht gerade die Rapperszene auch so eine „Männer-große-Fresse-Domäne“?  Wie viele Rapperinnen kannst du auf anhieb aufzählen?

Matthias: Tic Tac Toe -..

Suli: … und dann noch Sabrina Setlur, dann sind wir schon fertig. Wobei es gibt natürlich viele, die wir nicht kennen. Man müsste nochmal einen Unterschied machen zwischen Mainstream und Subkultur. In der Subkultur stehen die Frauen schon anders da und äußern sich.

„Innerhalb der Szene fühle ich mich eher isoliert“

Matthias: Sind wir denn eher Mainstream oder eher Subkultur mit Kinderliedern im Allgemeinen und mit kindermusik.de?

Suli: Du bist wahrscheinlich Mainstream und ich bin eher independent, wobei die ganze Kindermusikszene ja ins Kinderzimmer gesperrt ist. Was immer die Gesellschaft dem Kinderzimmer zugesteht, diese Größe haben wir als Kinderliedermacher und -macherinnen letztlich auch. Aber innerhalb der Szene fühle ich mich eher isoliert. Wie viele Bands fallen dir ein, die ‘ne Frontfrau haben, die eher auf den Rock-‘n‘-Roll-Putz hauen?

Matthias: Bei „Rock-‘n‘-Roll-Putz“ würde sie mir wahrscheinlich aufs Dach steigen, aber trotzdem fällt mir „Julianes Wilde Bande“ aus Leipzig ein. Aber sonst sind es nicht viele, da stimme ich dir zu. Was können wir tun? Wie können wir das verändern? Sitzen wir vielleicht als Kinderliedermacher an den Hebeln, wo wir noch etwas verändern können? Können wir über die Kinderlieder was anstoßen? Und wie kriegen wir die Frauen ins Geschäft?

Suli: Im Musikschulbereich werden Kinder motiviert, Instrumente auszuprobieren und zu spielen. Da könnte man es vorantreiben. Ich weiß nicht, wie weit das im privaten Bereich funktioniert und ob das immer noch eine Domäne der bürgerlichen Mittelschicht ist. Ich bin mir sehr unsicher, wieviel Musik verändert. Lieder, die Menschen berühren, bestätigen sie eher in dem, was sie eh schon denken.

„Kinder fragen mich oft, ob ich ein Mann oder eine Frau bin – was steckt da für ein Rollenverständnis hinter?“

Ich erlebe aber in Konzerten, dass wir als Role-Models funktionieren, sowohl ich – mit meinen kurzen Haaren und wie ich auftrete – als auch Meike, meine Bassistin, die auch kurze Haare hat und oft für einige Kinder ein wichtiges Signal gibt. Einfach dadurch, dass sie da ist und spielt. Und gut spielt. Oder Matthias, unser E-Gitarrist, der eben lange Haare hat.

Uli, Matthias Meyer-Göllner und Suli Puschban live on stage bei der Kieler Kinderliederwoche

Matthias Meyer-Göllner und Suli Puschban live on stage bei der Kieler Kinderliederwoche

Kinder fragen mich oft, ob ich ein Mann oder eine Frau bin. Was steckt da für ein Rollenverständnis dahinter? Auf der anderen Seite ernte ich oft Zuspruch für mein Lied „Ich hab die Schnauze voll von rosa“ gerade bei jungen Müttern. Endlich bringt mal jemand was anderes und thematisiert die Schwierigkeit, die zum Beispiel beim Einkauf abseits vom Rosawahnsinn besteht.

Matthias: Du hoffst also auf den langen Weg. Dass sich die Kinder später erinnern an Suli, die irgendwie anders war. Ein sehr steter, langwieriger Tropfen, auf den du da setzt …

Suli: Keine Ahnung, ob das so wirkt. Ich setze erstmal auf den Moment: Wenn die Kinder bei uns im Konzert sind, haben sie erstmal eine gute Zeit und bei dem einen oder anderen löst es womöglich etwas aus. Plötzlich ist es schön zu singen. Plötzlich schaffen sie es, ihre vermeintliche Coolness loszulassen und Karate-Vampir zu werden. Oder Elvis zu sein, obwohl sie gar nicht wissen, wer Elvis war.

„Ich finde, dass Frauen noch zu vorsichtig sind und sich mehr trauen sollten“

Matthias: Da muss ich kurz einhaken. Du spielst auf deinen Song „Ich sehe aus wie Elvis“ an. Warum ausgerechnet Elvis? Warum nicht Madonna?

Suli: Weil ich so nicht aussehe (lacht). Vielleicht geht es darum, nach dem Größeren zu greifen.

Matthias: Aber warum ein Mann?

Suli: Man muss ja nun nicht katholischer als der Papst sein. Es geht erstmal darum, Gaudi zu haben und nicht immer alle Varianten durch zu deklinieren. Außerdem ist der Satz nicht auf meinem Mist gewachsen. Er stammt von Nikolai. An irgendeinem Todestag von Elvis sprang er über Tische und Bänke und rief: „Ich sehe aus wie Elvis“: Da hab ich mir gedacht: Mach ein Lied draus.

Matthias: Und wie bringen wir jetzt mehr Frauen dazu, Kindermusik zu machen?

Suli: Meine Idee ist, zur Hochschule zu gehen, junge Musikerinnen anzusprechen und ihnen das zu vermitteln: Es gäbe einen Beitrag zu leisten für die Kindermusik.

Matthias: Das finde ich als Anregung auch für mich gut: Noch stärker mit Frauen zu arbeiten. In den Projekten, in denen ich das tue, merke ich, wie die Kinder sich viel besser identifizieren können, weil ein Mann und eine Frau da sind. Können wir das als Fazit nehmen?

Suli: Ja, genau. Sieh dir die Kinderrockbands an: Radau, Randale, Blindfische, Andi und die Affenbande, Pelemele – alles Männer. Und ich finde, dass die Frauen noch zu vorsichtig sind und sich mehr trauen sollten.

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