Was darf ein Kinderlied?

– Ein Text von Matthias Meyer-Göllner –

Was darf ein Kinderlied?

Was darf ein Kinderlied?

Primetime im ZTV. Im hoch quotierten „Kinderliterarischen Quartett“ mit drei führenden Kinderliteraturkritikern der deutschen Medienlandschaft nebst einer Kinderliedermacherin aus der Szene wird diese Frage anhand der aktuellen Neuerscheinungen im Bereich Kindermusik diskutiert.

Am Beispiel eines gerade erschienenen Albums („Hoch auf dem gelben Wagen“) mit Volks- und Kinderliedklassikern interpretiert von aktuellen und vor allem nicht mehr ganz so aktuellen deutschen Popstars weist Heribert P. Saidenstrohm (Freiberger Originale Zeitung) nach, dass die alten Songs immer noch hochaktuell sind und auch heutigen Kindern viel zu geben haben.

Rieke Marker vom Deutschfunkradio Kinder bezweifelt allerdings, dass Kinder heute so unbedingt „beim Schwager vorn“ sitzen wollen, damit hätte sich doch schon Walter Scheel eher an die Großeltern gewendet. Und nur weil das jetzt Bushido sänge, würde es dadurch kein Stück mehr zu einem Teil der aktuellen Lebenswelt der Kinder. Sie bevorzugt die neue CD „Fick dich sagt man nicht!“ von der Kinderrockband „Die Rabauken“ aus Düsseldorf. Hier würden die letzten Tabus der Kindheit zu Fall gebracht und das gefiele den Kindern und auch sie finde das erfrischend.

Sie müsse aber aufpassen, dass sie mit den letzten Tabus nicht auch die gesamte Kindheit zum Verschwinden brächte, findet wiederum Jan Staniskowski (Sibylle). Es sei nun mal ein Schonraum, auf den sich alle, die in diesem Bereich arbeiten würden, bezögen. Deshalb begrüßt er es, wenn Kinderlieder diesen Schonraum respektieren. Der Magdeburger Liedermacher „Butzi“ erscheint ihm dabei nahezu genial, wenn er singt: „Hast so viele Fragen den ganzen Tag gestellt und guckst, als willst du sagen: Erklär mir diese Welt!“ Mit seiner neuen Produktion „Hallo du, ich hör dir zu“ hat sich Hans-Georg Butzenmacher (alias „Butzi“) einfühlsam auf den Weg gemacht in die emotionale Erlebniswelt gerade jüngerer Kinder.

Das sei genau der kommerzielle Mist, den die großen Verlage wollten, empört sich darüber Betty Boom, Kinderliederclownin aus Idar-Oberstein. Und damit würde Druck erzeugt auch auf kleinere Verlage und Künstler, die ein bisschen abseits vom Mainstream arbeiten würden. Es sei schwer für einen Verlag wie „Bärenwurm“, mit dem sie zusammenarbeitet, seiner poetischen Leitidee zu folgen. „Wenn die dritte Produktion in Folge nichts abwirft, wird auch dort diskutiert, ob nicht mal eine CD mit Piratenliedern fällig wäre,“ beschreibt die Sängerin und Harfenistin ihr Dilemma.

In der anschließenden Diskussion werden die unterschiedlichen Positionen dazu, was ein Kinderlied ausmacht, was es darf – und vor allem was es nicht darf – noch deutlicher. Kein Tabu, das nicht schon gebrochen wäre – wenn nicht durch Kinderliedautoren, dann durch Kinder und ihre Vorlieben selber. Keine Grundsätze, die nicht schon in Frage gestellt wären und schon gar keine Details wie Tonarten, Tonhöhen, Lautstärke, Geschwindigkeit, Textfülle usw., auf die man sich einigen könnte.

Augenzwinkernd zitiert Saidenstrohm am Ende seinen Ziehvater, wenn er sagt: „Und so sehen wir betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen!“

Natürlich wird es in der derzeitigen deutschen Medienlandschaft nie zu einer solchen Sendung kommen, nicht heute, nicht morgen und auch nicht in der überschaubaren Zukunft. Auch kommt es leider nicht oft dazu, dass diese Fragen im beschaulicheren Rahmen diskutiert werden. Was darf ein Kinderlied? Und was nicht? Und was kann es? Da gibt es eine recht überschaubare Szene, die die Fachleute stellt, mit einem ebenso überschaubaren Fachpublikum.

Aber es gibt sie, diese Szene. Und es ist unser erklärtes Ziel, diese Szene zu beleben, in Bewegung zu bringen und sie sich ihrer selbst bewusst werden zu lassen. Im Moment sind wir – die Autorinnen und Autoren von Kinderliedern – die Fachwelt und wir werden uns Gehör verschaffen.

Wir werden dafür sorgen, dass die vielen Neuerscheinungen nicht mehr unbeachtet das Licht der Welt erblicken. Dass die vielen Konzerte nicht mehr im Dunstkreis von Schulturnhallen und Kindergarteneingangsbereichen hängen bleiben. Dass die vielen Persönlichkeiten sich nicht mehr nur durch die immer gleichen Fragen der Lokalpresse quälen müssen. Dass Kinderlieder ein höheres Ansehen in der Kulturhierarchie genießen.

Das werden wir schaffen. Aber nur, wenn ihr euch engagiert beteiligt. Schreibt, was euch gefällt. Und was nicht. Schreibt, was ihr für Qualität haltet. Und was für unerträglich. Stellt euer Lieblingslied vor. Eure Lieblings-CD. Euer Lieblingskonzert. Stellt Fragen. Beantwortet Fragen.

Wir freuen uns darauf!

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3 Antworten

  1. Matthias sagt:

    Eigentlich möchte ich das gar nicht kommentieren. Nur die Tatsache, dass man das kommentieren kann und es natürlich auch sehr erwünscht ist, verführt mich dazu.

  2. schon fast ein Jahr her, aber ein Klasse! Artikel. Folgenden Song find ich Kinderecht!: https://www.youtube.com/watch?v=ZPwHEdVVdMU

  3. Ich bin froh, heute dieses Magazin gefunden zu haben und endlich eine Anlaufstelle für viele Informationen und Empfehlungen zu haben. Von dieser Seite erzähle ich jetzt in meinem Umkreis viel. Danke!

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