Das traurige Geheimnis der singenden Massai – Besuch in einem afrikanischen Kinderschutzzentrum für Mädchen

– Ein Text von Astrid Hauke –

Kinder im Schutzcenter des Projekts "Tareto Maa" in Kilgoris, Kenia

Kinder im Schutzcenter des Projekts „Tareto Maa“ in Kilgoris, Kenia

Im August 2016 habe ich in Kenia das Kinder- und Jugendschutzprojekt „Tareto Maa“ besucht. Ziel meiner Reise war es, auf das grausame Schicksal der Mädchen hinzuweisen und aktiv Spenden zu sammeln. Nach wie vor gehören Zwangsheirat und Beschneidung zum afrikanischen Alltag. Doch ich glaube, mit Musik lassen sich seelische Leiden lindern.

Ein Leben wie in einem Endzeitfilm: Staubige Straßen führen ins Nirgendwo. Grobe Hütten aus Lehm, Wellblech und Stroh. Nur selten Strom mittels primitiver Solaranlagen und alter Autobatterien. Trübes Wasser aus dem Fluss. Eigentlich „Bonjour Tristesse“ pur.

Lachende Gesichter statt Tristesse pur

Von wegen. Überall lachende Gesichter. Dieser Kontrast zwischen der kahlen Umgebung und den primitivsten Gegebenheiten zum Wohnen, Schlafen, Leben, Lernen einerseits und der unbändigen spürbaren Lebensfreude andererseits, beeindruckt mich.

Die Mädchen aus dem Schutzzentrum haben viel durchgemacht. Viele sind vor ihren Familien geflohen. Grund ist das grausame Ritual der Beschneidung. Ohne Betäubung. Ohne medizinische Versorgung. Gerade in der Welt der Massai ist die Beschneidung von Mädchen gängiges Brauchtum. Nach wie vor ist es üblich, Mädchen im Alter von etwa acht Jahren zu beschneiden und sofort an wesentlich ältere Männer zu verheiraten – im Tausch gegen Kühe, die größten Schätze der Massai.

Flucht vor Genitalverstümmelung und Zwangsheirat

Mit etwa zwölf bekommen die Mädchen eigene Kinder. Die nächste weibliche Generation erwartet dasselbe Schicksal. Die Verstümmelungen unter dem Deckmantel der Tradition gehen von vorne los. Ein Teufelskreis, den „Tareto Maa“- Gründerin Gladys Kiranto durchbrechen will. Sie selbst versuchte, vor ihrer Beschneidung zu fliehen, wandte sich an Nachbarn und Freunde. Vergeblich. Alle rieten dem Kind zurückzugehen, da sie sonst von ihrer Familie verstoßen würde.

Astrid Hauke bringt den Mädchen deutsche Kinderlieder bei.

Astrid Hauke bringt den Mädchen deutsche Kinderlieder bei.

Im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Leidensgenossinnen überlebte Gladys Kiranto die Genitalverstümmelung. Sie schwor sich, Mädchen, die sich gegen ihre Beschneidung wehren, zu unterstützen. Die Idee von „Tareto Maa“ war geboren. Sie arbeitete hart, um Land zu kaufen und Gebäude zum Schlafen und Lernen zu errichten. Heute leben über 120 Mädchen bei ihr. Gekocht wird auf dem offenen Feuer. Die Väter kommen nicht an sie heran und sie können weiter zur Schule gehen.

Musik als Schlüssel zu den Herzen der traumatisierten Kinder

Das Projekt „Tareto Maa“ schenkt den Mädchen Sicherheit und eine Perspektive. Auch Musik kann ihnen helfen. Sie ist ein wichtiger Schlüssel zu den Herzen der oft schwer traumatisierten Kinder. Obwohl sie so viel durchgemacht haben, singen und tanzen sie voller Lebensfreude. Ich habe den Mädchen deutsche Kinderlieder beigebracht. Im Gegenzug lernte ich Massai-Songs. In der Musik steckt so viel Freude, Kommunikation und Lebensmut.

Gemeinsames Singen mit den Mädchen im Projekt "Tareto Maa"

Gemeinsames Singen mit den Mädchen im Projekt „Tareto Maa“

Ich habe eine Massai-Frau gefragt, woher die Mädchen so viel Lebensfreude nehmen. Die Frau antwortete: „Musik. Wir singen und tanzen. Das ist alles.“ Musik verbindet über die Kontinente. Musik ist Emotion pur. Der Katalysator für Freud und Leid. Angestaute Gefühle wie Aggression, Angst und Wut werden losgelassen, finden durch das gemeinsame Singen, Tanzen und Musizieren ein gesundes Ventil.

Der Weg in ein selbstbestimmtes Leben

So können die Mädchen ihre Vergangenheit hinter sich lassen, zur Schule gehen, später vielleicht sogar auf die Universität. Für ein Leben wie im Film. In der die Einzelne ganz allein Hauptrolle und Regie übernimmt. Und die Straße nicht ins Nirgendwo, sondern in ein selbstbestimmtes Leben führt.

Links:

www.tareto-maa.org

www.astridhauke.de

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1 Antwort

  1. Jana sagt:

    Hallo Astrid,

    danke für diesen eindrücklichen Einblick in den Alltag afrikanischer Mädchen. Er geht unter die Haut. Umso schöner, dass Musik und Singen vom harten Los ablenken können.

    Ich selbst habe auch einmal in Kenia bei einem Schulprojekt mitgemacht. Auch ich habe die Begeisterungsfähigkeit gespürt.

    Ich liebe Afrika …. trotzdem. Ein Kontinent voller Vielfalt, Kulturen und Natur. Und mit Menschen, die trotzdem auch oft Lebensfreude ausstrahlen.

    Danke.

    Fussige Grüsse, Jana

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