2 mal 3 Fragen an … Thomas Hartmann

THOMAS HARTMANN war bis Anfang 2015 als Autor und redaktioneller Mitarbeiter im Musikteam für das WDR-Kinderhörfunkprogramm KiRaKa (früher Lilipuz) tätig. Dort war er nicht nur maßgeblich an der Konzeption des Musikprogramms beteiligt, sondern entwickelte auch neue Musikformate für Kinder. 2010 war er als Juror in der Vorjury des WDR-Kinderliederwettbewerbs vertreten. Als Musiker ist er seit über 20 Jahren in verschiedenen Bands und Ensembles aktiv, hat mehrere CD-Produktionen begleitet und spielte Konzerte und Festivals in ganz Deutschland. Inzwischen arbeitet er als wissenschaftlich-pädagogischer Mitarbeiter am Deutschen Kinder- und Jugendfilmzentrum (KJF) und koordiniert dort zwei bundesweite Medienwettbewerbe. Parallel arbeitet er an einer Publikation zum Thema „Musik für Kinder“. Thomas Hartmann studierte Medienpädagogik und Kulturwissenschaften in Köln und Düsseldorf.

– Fragen von Matthias Meyer-Göllner –

Thomas Hartmann

Thomas Hartmann

Was macht aus deiner Sicht ein Lied zum Kinderlied?

Wenn wir über die Qualität von Kinderliedern sprechen, stehen für mich musikalische Kriterien an erster Stelle. Vor diesem Hintergrund erscheint mir die in der Frage enthaltene Abgrenzung zunächst unpassend. Warum sollte man zwischen einem „Lied“ und einem „Kinderlied“ unterscheiden? Beides verlangt handwerkliches Können und inhaltliche Sorgfalt, bestenfalls ergänzt durch stilistische Eigenständigkeit.

Dass die Zielgruppe Kinder dabei eine andere Ansprache voraussetzt als ein erwachsenes Publikum, liegt auf der Hand, erscheint mir aber zweitrangig. Nicht ohne Grund machen sich viele Kinder auch die „Lieder der Erwachsenen“ als ihre Lieblingslieder zu Eigen. Kinder sind eine sehr heterogene Zielgruppe, deren Anspruch und Erwartungshaltung sich mit steigendem Alter stetig verändert.

„Die immer gleiche Animationslyrik: hüpfen, tanzen, singen, springen“

Natürlich ist das Texten und Komponieren für sie deshalb mit einer besonderen Verantwortung verbunden. Für meinen Geschmack wird aus dieser Verantwortung allerdings zu oft ein ausschließlich pädagogischer Auftrag abgeleitet, oder man beschränkt sich inhaltlich auf die immer gleiche Animationslyrik: Hüpfen, tanzen, singen, springen! Für angemessener halte ich es, die Lebenswelten von Kindern als vielschichtig anzuerkennen und sich ernsthaft darauf einlassen zu können.

Dieses Talent, gepaart mit musikalischem Stilwillen und einem definierten inhaltlichen Anspruch halte ich für die wichtigsten Grundvoraussetzungen, um Lieder entstehen zu lassen, die Kinder gut unterhalten, sie inhaltlich fordern und die – ein nicht minder wichtiger Aspekt – Erwachsene nicht spätestens nach dem dritten Durchlauf zum Weghören nötigen.

Welches Kinderlied gefällt dir besonders und warum?

Unter dem Namen „Mukkemacher“ haben die beiden Berliner Musiker Verena Roth und Florian Erlbeck 2014 ein in vielerlei Hinsicht innovatives Album für Kinder veröffentlicht. In elf verschiedenen Liedern ist es ihnen gelungen, ein musikalisch-globales Spektrum abzubilden, ohne dabei in stilistische Beliebigkeit abzurutschen. Dieser konzeptionelle Ansatz beschränkt sich aber nicht allein auf die Kompositionen, sondern wird von den beiden Musikern auch in der Produktion detailverliebt umgesetzt.

Exemplarisch für diese Herangehensweise steht der Titel „Schokolade“, der in der Anmutung eines traditionellen Rocksteady-Songs daherkommt. Authentisch instrumentiert und im besten Sinne analog klingend, findet hier unmittelbare Stilbildung statt. Da braucht es dann im Refrain auch nicht mehr als die einfache Hookline „Schoko-, Schoko- hmmm … Schokolade“.

„Pädagogische Indoktrinierungen sind Fehl am Platz“

Dass die Produktion komplett in Eigenregie umgesetzt und durch Crowdfunding kofinanziert wurde, zeigt exemplarisch, wie kreativ sich die Kindermusikszene jenseits ausgetretener Pfade organisiert. Ähnlich positive Kurzrezensionen ließen sich übrigens, das möchte ich an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, auch guten Gewissens über etliche Musiker und Ensembles aus dem Netzwerk kindermusik.de verfassen.

Was zeichnet einen guten Kinderlied-Erfinder oder eine gute Kinderlied-Erfinderin aus?

Interessant hier von „Erfindern“ zu sprechen. Sicherlich gleicht jeder Proberaum oft eher einem Labor, in dem mit musikalischen Ideen experimentiert wird. Darin sollte sich das musikalische Schaffen aber nicht erschöpfen. Böse gesprochen: Es braucht weitaus mehr, als drei Akkorde auf der Gitarre spielen und dazu Paarreime bilden zu können. Kinder sind anspruchsvolle Zuhörer und sollten in diesem Anspruch auch bedient werden.

Musikalisches Können, kompositorischer Einfallsreichtum und stilistische Eigenständigkeit sind dabei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, Kindern in ihrer neugierigen, phantasievollen und weltoffenen Haltung auf Augenhöhe begegnen zu können. Ideologische oder pädagogische Indoktrinierungen sind hier Fehl am Platz. Anders gesprochen: Wo der musikalische Anspruch eines erwachsenen Geistes auf die Unbekümmertheit einer kindlichen Seele trifft, kann rein musikalisch nicht mehr viel schief gehen.

„Interessante Entwicklungen finden jenseits des Mainstreams statt“

Sofern man mit diesem Schaffen tatsächlich auch eine breite Öffentlichkeit erreichen möchte, sollten eine gute PR-Arbeit sowie ein halbwegs geschmackssicheres visuelles Auftreten hinzukommen. Manche Künstler des Genres scheinen beharrlich zu ignorieren, dass es in der Regel die Erwachsenen sind, die letztlich die Kaufentscheidungen treffen.

Welche Entwicklung nimmt das Kinderlied? Gibt es Trends und Strömungen? Was zeichnet diese aus?

Gegenwärtig kann man den Musikmarkt für Kinder in zwei Bereiche unterteilen, nämlich den kommerziell erfolgreichen und den … nennen wir ihn mal „Independent-Markt“. Diese Differenzierung hat weniger mit einer konsumkritischen Grundhaltung als vielmehr mit der Tatsache zu tun, dass in analogen wie digitalen Kaufhäusern entweder nur die Produktionen vorzufinden sind, mit denen heutige Eltern bereits selbst groß geworden sind, oder aber solche, die gar nicht erst versuchen, ihren Anspruch zu verleugnen, kommerziell erfolgreich sein zu wollen.

Die interessanteren Entwicklungen finden jenseits dieses Mainstreams statt. Beschäftigt man sich intensiver mit der Szene, stößt man auf eine stilistisch ausgesprochen breite Ausdifferenzierung und entdeckt einen enormen musikalischen Qualitätssprung. Immer häufiger nehmen sich etablierte Musiker der Zielgruppe Kinder an, meist motiviert durch die Geburt des eigenen Kindes und die damit einhergehende Feststellung, dass man ihm wider besseren Willens musikalisch nur wenig anbieten kann, was den eigenen Ansprüchen standhalten würde.

„Das Kinderlied ist im Radio maximal unterrepräsentiert“

Ein Großteil der in diesem Kontext entstehenden Produktionen findet bislang leider nicht den Weg in größere Vertriebswege und landet somit nur sehr selten in den Kinderzimmern. Ich prognostiziere aber, dass das Interesse größerer Labels und Verlage angesichts dieser Entwicklung weiter wachsen wird. Davon sollten am Ende alle profitieren: Musiker, Eltern, Verlage und nicht zuletzt natürlich die Kinder.

Welche Stellung nimmt das Kinderlied in der Radiolandschaft ein? Sind auch da Entwicklungen absehbar?

Da gibt es nichts schön zu reden: Das Kinderlied ist im Radio maximal unterrepräsentiert und genießt in der Medienwelt einen ziemlich schlechten Ruf! Werbefinanzierte und meist jeglichem Anspruch entsagende Privatsender einmal bewusst außen vorgelassen, stellt sich die gegenwärtige Situation wie folgt dar: Wenn im Radio überhaupt noch Sendeplätze für Kinderprogramme angeboten werden, dann wird meistens an den musikredaktionellen Ressourcen gespart.

Im Ergebnis verschiebt sich das musikalische Interesse der meisten Kinder schon im frühen Grundschulalter in Richtung aktueller Popkultur. Ein ausdifferenziertes Musikangebot für Kinder könnte dieser Entwicklung etwas entgegenstellen. Dafür bedarf es aber, wie für jedes andere Musikprogramm auch, einer fortlaufenden qualitativen Einordnung, sorgfältigen Archivierung und nicht zuletzt einer überlegten Einbindung in das Wortprogramm eines Radiosenders.

„Ausgewählte gute Musik für Kinder ist im Einzelhandel schwer aufzutreiben“

Mit dem Digitalkanal KiRaKa (KinderRadioKanal) hat der WDR diesen Anspruch bereits 2008 umzusetzen versucht. Auf der Basis einer langjährig gewachsenen, redaktionellen Expertise wurde dort ein fast tagesfüllendes Kinderprogramm aus der Taufe gehoben. Die technologische Entwicklung des Radios berücksichtigend, hat man sich dabei bewusst auf digitale Verbreitungswege fokussiert, wird die Reichweite betreffend dadurch aber vorerst wohl noch Einbußen hinnehmen müssen. So dreht sich die Entwicklung gegenwärtig noch im Kreis. So lange es in unserer Medienlandschaft kaum Foren für gute Kindermusik gibt, wird auch das öffentliche Interesse daran nicht wachsen.

Welche Zugänge ergeben sich für Erwachsene zu Kinderliedern? Ausschließlich über die eigenen Kinder?

In der Tat entwickelt sich das Interesse an diesem Genre meist erst über die eigenen Kinder (beziehungsweise Enkelkinder, Nichten, Neffen …). Die Frage nach dem Zugang zu Kinderliedern führt aber weiter. Ist nämlich erst einmal das Interesse geweckt, folgt im nächsten Moment oft die ernüchternde Erkenntnis, dass ausgewählte gute Musik für Kinder im Einzelhandel nur schwer aufzutreiben ist. Das allgemein verfügbare Angebot an Kindermusik-Produktionen entspricht nicht der tatsächlichen Nachfrage heutiger Eltern. Leider mangelt es aber an unabhängig arbeitenden Redaktionen, die die Entwicklungen auf dem Kindermusikmarkt fortlaufend beobachten, auswerten und veröffentlichen.

So bleibt jungen Eltern meist nichts anderes übrig, als zu dem zu greifen, was ihnen vor die Füße fällt. Nur so lässt es sich erklären, dass auch die einhundertste Compilation mit den „schönsten Kinderliedern“ oder die aktuellen Charts, neu interpretiert von den Schlümpfen, noch immer ihre gutgläubigen Abnehmer finden. Als Ramschartikel an der Supermarktkasse oder auf dem Wühltisch zu unschlagbar günstigen Preisen verscherbelt, tragen derlei Produktionen kaum zur musikalischen Stilbildung von Kindern bei. Stattdessen zementieren sie den schlechten Ruf eines eigentlich sehr lebendigen und vielschichtigen Genres.

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